Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meineid

Meineid

Titel: Meineid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
Vom Netzwerk:
sie ankam. Hinter zwei Fenstern im Obergeschoss und in der Diele brannte Licht. Hinter den beiden Fenstern lagen das Bad und Jans Arbeitszimmer. Es war ein großes, freistehendes Einfamilienhaus mit Doppelgarage und der üblichen Raumverteilung. Im Erdgeschoss lagen zur Straße hin die Küche, Gästetoilette und Diele, zum Garten der große Wohnraum und das Esszimmer. Im Obergeschoss gab es außer dem Bad und Jans Arbeitszimmer noch das Schlafzimmer und Mandys Zimmer, beide Räume lagen zum Garten. Vor dem Haus befand sich ein kleines Rasenstück, dahinter ein größeres, das sich der Terrasse anschloss. Der Garten war mit einem mannshohen Zaun und dicht stehenden Gewächsen vor neugierigen Blicken geschützt. Auch die Terrasse war von den Nachbarn nicht einsehbar. Tess hatte das genutzt für ihre Sonnenbäder, obwohl man von der Straße aus freien Zugang zum Garten hatte. Zwischen der Garage und der Grundstücksgrenze verlief ein schmaler Fußweg. Greta klingelte an der Haustür, wie oft, wusste sie später nicht mehr. Endlich hörte sie schlurfende Schritte in der Diele. Zwei grausame Sekunden lang war es für sie, als käme ein uralter Mann auf die Tür zu. Aus welcher Richtung, ob von der Treppe oder aus dem Wohnzimmer, konnte sie nicht feststellen. Dann ging die Tür auf, Jan stand vor ihr. Sie wusste nicht, was sie erwartet hatte. Ein vorwurfsvolles:

    «Das hat aber lange gedauert, Greta!»
    Oder ein erleichtertes:

    «Da bist du ja endlich. Ich dachte schon, du kommst nicht mehr.»
    Etwas in der Art. Sie kannte ihn als einen Mann, der sich scheinbar durch nichts und niemanden aus der Ruhe bringen ließ. In seinem Innern mochte es brodeln, anzusehen war ihm das nicht. Aber sie hatte ihn auch noch nie in einer Ausnahmesituation erlebt. Tess war tot und er hatte sie geliebt. Er hatte zwei Jahre lang seine Nase ohne Murren hingehalten, damit Tess darauf tanzen konnte. Er hatte sich gewiss oft geärgert und ihre Einstellung zum Leben bestimmt nicht immer gutheißen können. Aber Tess und Mandy waren seine Familie, sein Rückhalt, waren das gewesen, wofür es sich lohnte. Er stand da wie in Trance. Die Arme hingen herab, als könnten sie im nächsten Augenblick zu Boden fallen. Sein Gesicht war völlig leer. Er roch nach Alkohol, nicht sehr stark, aber ohne Zweifel hatte er etwas getrunken. Er trug ein kurzärmeliges Hemd und eine helle Leinenhose. Die Hose war zerknittert, als ob er lange darin gesessen hätte, aber sie war sauber. Das Hemd dagegen war blutig. Die gesamte Brust und die linke Schulter waren dunkelrot eingefärbt. Kein wirres Haar, kein irrer Blick, keine Unschuldsbeteuerungen, kein Gestammel. Nur das Blut auf dem Hemd und diese absolut leere Miene. Er schaute an Greta vorbei, schien sie überhaupt nicht wahrzunehmen. Zwei, drei Sekunden standen sie sich gegenüber. Ihr kam es vor wie eine Ewigkeit. In ihrer Brust breitete sich ein unerträgliches Gefühl von Hitze aus. Sie starrte ihn an, die reglose Miene, die dunkelrote Hemdbrust und die Schulter. Er hat den Verstand verloren! Der Satz zuckte ihr durch den Kopf. Er war am Telefon schon so merkwürdig gewesen. Nicht hektisch, nicht verzweifelt, nur unbeteiligt.

    «Jan», sagte sie leise und berührte ihn an der rechten Schulter. In dem Moment erwachte er aus seiner Trance, seinem Schock, seiner Lethargie oder wie immer man es nennen wollte. Er schüttelte sich, schaute sie an, atmete tief durch. In seinen Augen blitzte Erkennen, der Mund verzog sich zu einem kläglichen Lächeln. Sie rechnete damit, dass er in der nächsten Sekunde sagte:

    «Ich weiß nicht, wann es passiert ist, Greta. Ich bin erst kurz vor neun nach Hause gekommen.»
    Er hatte um halb zwei einen Termin im Sender gehabt. Das wusste sie, weil sie es dienstags in seinem Kalender gelesen hatte, als sie sich von ihm verabschiedete. Solche Besprechungen zogen sich regelmäßig bis zum Abend. Meist ging er dann noch mit seinen Kollegen und dem Redakteur auf ein Bier oder zum Essen. Da konnte es leicht neun Uhr werden. Aber er sagte nichts, nickte nur mit dem Kopf in die Diele hinein, ließ sie an sich vorbei und schloss die Tür hinter ihr. Dann erst murmelte er mit einem weiteren Nicken in Richtung Wohnzimmer:

    «Draußen.»
    Er meinte die Terrasse. Greta ging ins Wohnzimmer. Dort brannte kein Licht. Aber aus der Diele fiel genug ein, um bis zur Terrassentür schauen zu können. Sie stand offen. Vor der großen Panoramascheibe daneben gab es keine Gardinen. Sie spiegelte die

Weitere Kostenlose Bücher