Meineid
Aber er wollte Sterne.»
Und plötzlich ging es. Es kam für mich selbst überraschend. Wie oft hatte Greta mir vorgeworfen, ich benähme mich wie einer von diesen durchtriebenen Verhörspezialisten. Ich wusste, wie sie sich benahmen, freundlich, väterlich, kameradschaftlich. Und wenn sich ihnen der Magen umdrehte, wenn sie vor Wut überkochten. Sie hatten sich jederzeit unter Kontrolle. Sanftheit war die Devise. Willst du einen Kaffee, Junge? Nimm eine Zigarette. Willst du auch etwas essen? Und nun sprich dir alles von der Seele! Hier ist jemand, der dich versteht. Ich beugte mich erneut in den Wagen.
«Und was wolltest du? Hattest du Angst vor Tess? Sie wusste eine Menge, nicht wahr? Und du hast geglaubt, dass sie dich tatsächlich in den Knast bringen kann. Du hast sie zum Schweigen gebracht. So war es doch.»
Er schüttelte nur mechanisch den Kopf.
«Lass den Quatsch, Niklas, verlangte Greta und versuchte, mich von ihrem Wagen wegzuzerren. Ich ignorierte ihre Hand an meinem Arm und stellte die nächste Frage.
«Wusste Tess von den anderen? Hat sie dich damit zu erpressen versucht?»
Jan hob unsicher die Schultern an, blinzelte zu mir auf und erkundigte sich zögernd:
«Welche anderen? Meinst du Barby? Das war ein Unfall. Wir waren doch total besoffen. Und Barringer sagte: Wenn wir uns einig sind, können sie uns nichts. Aber ihn haben sie geschasst, und mich haben sie auch nicht verlängert.»
Ich griff nach seinem Arm.
«Komm jetzt, wir reden oben weiter, da ist es gemütlicher.»
Er stieg tatsächlich aus. Mit gesenktem Kopf trottete er neben mir zum Aufzug. Greta folgte uns und verlangte:
«Lass ihn in Ruhe, Niklas. Er ist verwirrt, du hörst es doch. Sterne, Streifen, er weiß gar nicht, was er sagt.»
Mich interessierte nicht, ob er es wusste. Ich wollte es wissen, nach dreieinhalb Jahren wollte ich endlich Gewissheit. Barby! Ich hätte geschworen, dass Barby als Opfer in seinem Roman vorkam, ganze neunzehn Jahre alt, als sie von zwei Männern misshandelt, vergewaltigt und getötet wurde. Und einer von diesen Männern war Barringer, der andere war Jan gewesen. Das hätte ich ebenfalls beschworen. Jan trat in den Aufzug, lehnte sich mit einer Schulter gegen die Wand und betrachtete mich mit einem bedauernden Blick.
«Sie war ein niedliches Ding, murmelte er.
«Furchtbar, dass sie so enden musste.»
In dem Moment verlor ich die Kontrolle. Ich wollte es nicht, nur konnte ich es leider nicht verhindern. Meine Rechte ballte sich zur Faust und fuhr hoch, ehe es mir bewusst wurde. Ich traf ihn an der linken Schläfe, so heftig, dass sein Kopf gegen die Kabinenwand prallte. Die Haut über seiner Augenbraue platzte auf. Greta schrie:
«Niklas, bist du verrückt!»
Er schien eher verwundert, tastete an seine Schläfe, betrachtete irritiert seine Fingerspitzen und verrieb das Blut darauf mit dem Daumen.
«Du bist wirklich verrückt, stammelte Greta. Er lächelte sie an.
«Keine Sorge, alles in Ordnung. Ich halte jetzt die Schnauze. Du kannst dich drauf verlassen. Ab sofort kein Wort mehr.»
Die restlichen Stockwerke fuhren wir schweigend nach oben. Ich bedauerte den Schlag, mehr noch die Wirkung, die ich damit erzielte. In Gretas Wohnung holte ich nichts mehr aus Jan heraus. Jede Frage beantwortete er mit einem demonstrativen Kopfschütteln, bei einigen legte er sich einen Finger quer über die Lippen und grinste verschmitzt. Ich war mir nicht sicher, ob er nur eine Show abzog oder ob er sich tatsächlich auf das geistige Niveau eines Vierjährigen zurückgezogen hatte. Es war frustrierend, irgendwann war ich es leid, wollte weder erneut die Nerven noch die Geduld verlieren und sagte:
«Bring ihn ins Bett. Aber sorg dafür, dass er sich die Zähne gründlich putzt. Eine Dusche könnte ihm auch nicht schaden. Für ein Bad ist es ein bisschen spät.»
Greta starrte mich wütend an, entsetzt über seine Verfassung, die sie ebenso wenig einschätzen konnte wie ich. Ich ging in die Küche.
«Ich mache uns einen Kaffee. Wenn du ihm den Gutenachtkuss gegeben hast, reden wir beide wie Erwachsene.»
* Eine halbe Stunde später saßen wir uns im Wohnzimmer bei einer Kanne Kaffee gegenüber. Jan lag in ihrem Bett. Er hatte geduscht und ihre Hand mit dem Wundpflaster, das sie ihm auf die Schläfe kleben wollte, beiseite geschoben. Die beiden Valium, die sie ihm hinhielt, hatte er widerspruchslos geschluckt. Sie hatte es nicht gewagt, ihm mehr als zwei zu geben, weil sie nicht wusste, wie sie sich mit der
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