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Meinen Sohn bekommt ihr nie

Titel: Meinen Sohn bekommt ihr nie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabelle Neulinger
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von Schlägen gezeichnete Frauen warten, wo laut gesprochen und häufig gedroht wird. In diesem höchst widersprüchlichen Treiben harrt man mitunter Stunden aus und vertreibt sich die Zeit damit, dem Servicewagen nachzuschauen, der durch die Gänge kurvt und Sandwichs und Getränke anbietet.
    Igal und ich warten, eine lange Zeit. Shai wird nicht kommen, er hat seinen Anwalt nicht bezahlt und wurde daher nicht über den ersten Anhörungstermin informiert. Mein Begleiter bemüht sich, mir ein Lächeln zu entlocken, indem er auf einen Mann in Hand- und Fußschellen zeigt, der vor einer Frau mit gebrochener Nase daherschlurft.
    Â«Es ist genau so, wie du denkst. Der Mann hat sie verprügelt, dafür sitzt er jetzt im Knast. Am Ende hast du noch Glück gehabt. Immerhin hast du noch deine hübsche Nase.»
    In Shais Abwesenheit legen die rabbinischen Richter einen neuen Termin für den Folgemonat fest.
    Danach begleitet mich Igal zur Polizeiwache, um Shai wegen der Morddrohung anzuzeigen. Als weitere Zeugin steht mir die Leiterin der Kinderkrippe zur Seite, die berichtet, wie mein Mann ihre Angestellten terrorisiere. Es ist keine religiöse Krippe, und Shai erträgt es nicht, dass sein Sohn von einem schwulen Erzieher und einer Frau afrikanischen Ursprungs beaufsichtigt wird.
    Die Familienrichterin, die erneut eingeschaltet wird, ergreift auf der Stelle Schutzmaßnahmen: Während dreier Monate darf Shai die Wohnung nicht mehr betreten, muss einen Abstand von mindestens einhundertfünfzig Meter zu mir einhalten, darf nicht in die Nähe der Krippe kommen und keine Waffe bei sich führen. Auch wird ihm verboten, mich in irgendeiner Weise zu behelligen oder zu belästigen. Von nun an darf er Noam zudem nur noch im Beisein von Sozialarbeitern für jeweils zwei Stunden sonntags und mittwochs sehen.
    Von meinen Schultern fällt eine zentnerschwere Last. In den nächsten drei Monaten kann ich endlich wieder durchatmen.

    Am nächsten Morgen verlässt Shai die Wohnung bei Tagesanbruch. Als er abends zurückkommt, sind die Türschlösser bereits ausgetauscht worden. Die Entscheidung der Richterin teile ich ihm mit, indem ich das Dokument, wie schon zuvor, unter der Tür durchschiebe. Er tobt. Doch es bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich damit abzufinden und unverrichteter Dinge davonzugehen. Ich stelle mich auf Vergeltungsmaßnahmen ein und muss nicht lange warten.
    In den folgenden zwei Monaten werden morgens, wenn ich zur Arbeit aufbreche, regelmäßig die Reifen meines Autos zerstochen sein. Ich bemerke auch zwei mir unbekannte, schwarz gekleidete Männer, die ununterbrochen vor meinem Haus stehen und mich auf Schritt und Tritt ausspionieren. Zweifelsohne handelt es sich um Einschüchterungsversuche. Doch wird Shai es auch wagen, handgreiflich zu werden?

    Nachdem mein Mann ausgezogen ist, fühle ich mich wie am Ende eines langen Tunnels. Meine Freunde und Bekannten, die er auf Abstand hielt, kommen wieder zu Besuch. Ich genieße es, das zu tragen, was ich möchte, zu essen, was mir schmeckt, die Musik zu hören, die mir gefällt. Endlich kann ich wieder an mein soziales Leben anknüpfen, kann Leute treffen und Noam überallhin mitnehmen. In der Zwischenzeit hat Karine in New York geheiratet. Doch Virginie und Myriam, meine unzertrennlichen Freundinnen, sind immer für mich da und geben mir Rückhalt.
    Da ich weiter davon ausgehe, dass ich den Get nie erhalten werde, rufe ich den Schweizer Konsul in Israel an und schildere ihm meine Lage. Ich bin fest entschlossen, in die Schweiz zurückzukehren, falls sich die Situation weiter verschärft.
    Er ist sehr freundlich, aber seine Antwort beruhigt mich kaum: «Leider können wir nur wenig für Sie tun, Madame. Wir können nicht in israelisches Recht eingreifen. Ich gebe Ihnen aber die Nummer des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements in Bern. Versuchen Sie es bei ihnen.»
    Ich versuche mein Glück in Bern und gerate an einen Beamten, dessen Worte mir in Erinnerung bleiben werden: «Madame, haben Sie das Sorgerecht? Sind Sie geschieden? Noch nicht… Wenn Sie geschieden sind und das Sorgerecht haben, und wenn es Ihnen gelingt, in die Schweiz zurückzukehren, werden Sie in Sicherheit sein. Sie müssen lediglich Ihre Rückreise organisieren, doch dabei können wir Ihnen nicht helfen. Und dieses Gespräch muss unter uns bleiben, Sie

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