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Meinen Sohn bekommt ihr nie

Titel: Meinen Sohn bekommt ihr nie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabelle Neulinger
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Gespräch konsequent verweigert.
    Nach der Untersuchung des Sozialamts bekomme ich das definitive Sorgerecht für Noam, und mir wird eine Unterhaltszahlung zugesprochen, von der Shai nie auch nur einen Cent bezahlen wird.
    Das Kind lasse ich abtreiben. Es zerreißt mir das Herz, doch ich sehe keine andere Lösung. Und dabei habe ich weiß Gott bis zuletzt auf das Wunder gehofft, dass mein Mann wieder auf den Boden der Realität zurückkommt, meiner Realität. Oft denke ich an mein verlorenes Kind. Dann sage ich mir, dass mich seine kleine Seele leitet und beschützt.

Die Scheidung
    Ein Unglück kommt selten allein, und so wird mein Vater schwer krank. Er wird notoperiert, doch sein Zustand bleibt kritisch. Um ihn in Frankreich besuchen zu können, beantrage ich beim Gericht, dass das Ausreiseverbot für Noam provisorisch aufgehoben wird. Doch die Richterin zeigt sich unnachgiebig. Sie geht davon aus, dass ich nicht mehr zurückkommen würde. Nüchtern erklärt sie mir, dass ich dem Großvater doch ein Video von Noam schicken könne. Igal wurde getäuscht. Tatsächlich werde ich das Verbot nicht aufheben können. Noam wird in Israel gefangen sein, und ich mit ihm.

    Der Winter ist streng und für mich nur schwer zu ertragen. Noam geht nun in die Krippe und ist häufig krank. Da er nur eine Niere hat, braucht er umso mehr Fürsorge, schon das geringste Fieber unbekannten Ursprungs kann sich verheerend auswirken. Der Gang zum Krankenhaus wird zur Routine, und hat der Kleine das Pech, am Sabbat krank zu werden, muss ich ihn zu Fuß hinbringen, weil sein Vater mir nicht erlaubt, das Auto zu nehmen.
    An einem Samstag, als Noam wieder heftige Fieberkrämpfe hat, verstellt mir Shai den Weg und sagt: «Gott wird helfen.» Ich rufe Igal an und lasse einen Krankenwagen kommen. Shai muss uns wütend ziehen lassen.
    Mehrere Tage bleibe ich bei Noam im Krankenhaus und schlafe im Aufenthaltsraum auf dem Boden. Ich bin am Ende meiner Kräfte und muss achtgeben, nicht selbst krank zu werden. Shai lässt sich nicht im Krankenhaus blicken, schickt aber seine Mutter vorbei. Es kommt zu einer hitzigen Diskussion, bei der ich erfahre, dass Shais Familie mich für seinen religiösen Wandel verantwortlich macht. Ich sei schließlich diejenige gewesen, die ihn ermutigt habe, in die Synagoge zu gehen. Es reicht mir.
    Als mich die Sozialarbeiterin zu unserer Paarbeziehung befragt, gibt es für mich kein Halten mehr. Ich packe alles aus, berichte ihr, in welchem Klima der Angst ich lebe, von den täglichen Drohungen und Schikanen. Das Sozialamt reagiert sofort und rät in einem offiziellen Schreiben dringend zur Trennung von Tisch und Bett, eine Lebensgemeinschaft unter einem Dach sei nicht mehr tragbar. Überdies verbietet es Shai ausdrücklich, Noam stundenlang in die Synagoge oder auf seine Bekehrungs- und Sammeltouren mitzunehmen.
    Noch am selben Nachmittag lasse ich den Brief unter der Tür des Gästezimmers hindurchgleiten. Am Abend schließe ich mich wie immer mit Noam im Schlafzimmer ein. Diesmal habe ich ein Küchenmesser unter mein Kopfkissen gelegt.
    Es dauert nicht lange, bis Shai zurückkommt und den Brief entdeckt. Er rastet völlig aus und versucht, mit Fußtritten und Faustschlägen die Tür aufzubrechen. Dazu schreit er: « I will kill you! Ich bringe dich um!»
    Ich glaube ihm aufs Wort und bin wie gelähmt vor Schreck.
    Plötzlich klingelt es, ich höre Stimmen, Besuch für Shai. Ich atme auf. Die Tür fällt ins Schloss, dann höre ich nichts mehr. Vorsichtshalber verbringe ich die Nacht sitzend und vollständig angezogen im Bett, das Kind neben mir.

    Am nächsten Morgen ist die erste Anhörung vor dem Rabbinatsgericht, wo es um die Scheidung gehen soll. Unter den gegebenen Umständen und nach dem Brief des Sozialamts habe ich allen Grund zur Annahme, dass Shai mir den Get verweigern wird.
    Igal lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Die Morddrohungen werden Inhalt einer weiteren Anzeige sein, und er wird sie verwenden, um vor Gericht zu meiner Sicherheit ein Annäherungsverbot zu beantragen.
    Im Rabbinatsgericht geht es sonderbar zu. Auf der einen Seite sind die Hochzeiten, wo alles eitel Sonnenschein ist, mit Blumen, strahlenden Menschen, heiteren Rabbinern, immerzu lächelnden Gesichtern; auf der anderen die Scheidungen, die Schattenwelt, wo Männer in Handschellen, genervte Anwälte und

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