Meines Bruders Moerderin
andere Stadt in Europa. Und Janet wusste nicht, ob ihr das wirklich gefiel.
Der junge Mann mit dem kurzen Haar neben ihr redete immer noch auf sie ein. Er war sexy, und er hatte eindeutig Interesse an ihr. Und sie machte sich Gedanken über Barcelonas Stadtplanung. Sie wurde alt. Janet leerte ihr Glas und füllte es wieder auf. Diesmal ohne die Hilfe von Nicolau oder wie immer sein Name war.
Janet sah sich um. Ein riesiges Flachdach mit provisorischen Atelierbauten in der Mitte. Innen standen dicht gestapelt Kemíls Bilder. Großformatig, fast monochrom und doch detailgetreu, wenn auch oft erst auf den zweiten Blick. Zum Teil schon eingepackt für den bevorstehenden Umzug. Seit für die Olympiade die scharfe Axt der Hafenerneuerung hier eingeschlagen hatte, stellte die Stadt Barcelona einige der entkernten Gebäude Musikern, Malern und Bildhauern zur Verfügung. Und einer wie Kemíl Martín, der zum Ruhm der Kulturstadt beitrug, würde sicher wieder ein Atelier bekommen. Aber wo?
Es waren gut zweihundert Leute hier oben, sie standen in Gruppen beisammen, saßen auf Plastikstühlen an ebenso zusammengeliehenen Tischen, schwatzten, tranken und aßen. Man kannte sich. Verschiedene Nationalitäten und Altersgruppen. Einige waren sehr elegant, aber die meisten kamen eher leger. Interessenten, Käufer, Agenten, Kollegen und andere Künstler, Journalisten, Familie und Freunde. Freunde von Freunden und Freunde von Freunden von Freunden. Kemíls Fest gab es jedes Jahr zu San Juan, und jedes Jahr kamen mehr. Es war Kult.
Janet fühlte sich plötzlich fremd hier. Die meisten Gäste waren nicht viel älter als Mitte dreißig, und sie kannte kaum einen. Außer dem arroganten Filmemacher Namenlos aus Frankfurt, der im Lauf der Jahre verdorrten Literaturagentin aus Amsterdam, dem italienischen Kunsthändler mit Sonnenbrille und Übergewicht, dem völlig sprach- und orientierungslosen amerikanischen Ex-Football-Star, der französischen Filmschauspielerin, an die sich kein Mensch mehr erinnerte und den ganzen anderen Fossilen aus Barcelonas großen Tagen, als es noch galt, Franco zu bekämpfen. Wenigstens verbal beim vino tinto und gambas al ajillo .
Die anderen waren fast alle sehr viel jünger. Für ein so genanntes Künstlerfest erstaunlich ruhig, bieder und fast immer paarweise. Es gab sogar zwei Babies in Kinderwagen. Kaum einzelne Männer, dafür aber jede Menge allein stehender oder zumindest allein gekommener Frauen zwischen dreißig und vierzig. Extrem aufgebrezelt und hektisch aktiv.
Die Musik wechselte von Jazz beim Aperitif zu romantischen Oldies beim Essen, zu softem Tanzrock danach und jetzt zu arabischer Musik. Einige der Frauen versuchten sich im Bauchtanz, ein Mann gesellte sich dazu. Janet wandte sich gelangweilt ab.
»Ach, komm, guapa mia «, Kemíl umarmte sie von hinten, drückte sie an sich, küsste sie, und sie wurde allein davon high. Lachte. Sie liebte Kemíl. Er war ein großartiger Künstler, unfähig, sich zu verkaufen, aber charmant bis zum Umfallen. Vor dreißig Jahren hatten sie mal eine kleine leidenschaftliche Affäre gehabt. Damals waren die Jungen sechs, vier und zwei, und für ein paar Jahre war Kemíl für sie eine Art Vaterersatz gewesen. Marc meldete sich schon lange nicht mehr, aber Sean und Eric hingen noch immer an ihm.
»Kemíl, cariño . Deine fiestas sind die schönsten.«
Er lachte. Stand da vor ihr. Groß, breit, grauhaarig, bärtig und rundum liebenswert. »Sean hat mir geschrieben. Er kommt ganz schön rum in der Welt, und sein Job als Meeresbiologe macht ihm offensichtlich Spaß. Was macht er da eigentlich?«
»Im Moment arbeitet er für dieses Pharmaunternehmen. Sie untersuchen bestimmte Algenarten auf einen krebshemmenden Wirkstoff.«
»Vielleicht rettet er uns allen noch mal das Lehen!« Kemíl hielt sie immer noch im Arm.
Sie sah ihn nicht an. »Und Eric? War der in letzter Zeit mal wieder hier?«
»Na ja, wir sehen uns gelegentlich.« Kemíl warf einer der Bauchtanzfrauen ein Küsschen zu.
»Ziemlich regelmäßig, schätze ich mal«, sagte sie bitter. »Immer, wenn er Geld braucht.«
»Ach, Geld habe ich doch selber keins«, er lachte. »Jaja, ich weiß, ich sollte ihm nichts geben. Aber ich mag den Jungen einfach. Der hat was drauf, glaub mir.«
»Ich mache mir Vorwürfe. Ich hab das nicht so gut hinbekommen mit den dreien. Na ja, mit zweien. Sean ist ein feiner Junge. Der wird seinen Weg machen. Ja, Sean ist okay. Aber Marc ist ein total biederer Broker in
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