Meines Bruders Moerderin
winkte sie zu sich. »Hier rüber. Schaut euch bitte zuerst das Haus an. Da gibt es noch verwertbare Spuren. Wir vermuten, dass der Brand in der Garage gelegt worden ist, das heißt, da müssen erst mal die Brandermittler ran.«
Zögern. » Capitán ?«
»Ihr habt gehört, was inspectór Cortes gesagt hat.« Bonet wandte sich ab, und die Leute von der Spurensicherung trotteten zum Haus hinüber. Pia wollte ihnen folgen.
»Nehmen Sie mich mit?« Janet. Pia hatte sie völlig vergessen, hatte gar nicht gemerkt, dass sie immer noch neben ihr stand. Wusste nicht so recht, wie sie reagieren sollte. War sie eine Freundin von Bonet? Mehr als eine Freundin? Bonet war vierundvierzig. Die englische Dame war schwer einzuschätzen. Wie auch immer, sie ging davon aus, dass Pia die Ermittlungen leitete. Sie war cool.
»Ich mache mich unsichtbar.«
Pia grinste. »Dann kann ich Sie ja auch nicht sehen.« Sie liefen zusammen hinter den Raumfahrern zum Haus.
10
Endlich wurde es etwas ruhiger, nur noch vereinzelte Kracher weiter weg in der Altstadt.
San Juan war wie Weihnachten. An diesem Tag spürte man die Einsamkeit mehr als sonst. Dagmar hatte trotz der Hitze alle Fenster geschlossen. Die Räume waren hoch, die Mauern dick. Ein Deckenventilator verteilte mühsam die Luft, als wäre es Schweröl, wuiik, wuiik, wuiik... Der gelbe Schein ihrer Schreibtischlampe holte kaum ein Drittel des Zimmers aus dem Dunkel. Seltsame Winkel durch die xamfrans , die angeschrägten Ecken an allen Häusern in der geometrischen Neustadt Barcelonas, dem Enchante oder Eixample.
Dagmar hatte den Raum mit dem meisten Licht als Arbeitszimmer gewählt. Drei deckenhohe Fenster mit Balkon und Jalousien. Sechsunddreißig krumme Quadratmeter bei fast drei Metern Höhe. Zwei Drittel hatten einen Fußboden aus einem Mosaik kunstvoll zusammengesetzter Keramikkacheln in gelb, schwarz und blau. Der eckige Rest war einfach nur schwarz und weiß gewürfelt. Irgendjemand hatte mal aus zwei kleinen Zimmern einen Raum gemacht. Es gab noch eine große Küche, ein museumsreifes Bad und vier weitere Zimmer. Die spärlichen Möbel waren viel zu klein. Dagmar hatte anfangs versucht, die Wohnung einigermaßen gemütlich einzurichten, aber es war ihr nicht wichtig genug. Nicht, solange sie allein war. Es war kaum möglich, in Barcelona eine Mietwohnung zu finden, jeder hier hatte seine eigene Wohnung, stotterte sie ab oder wohnte noch daheim und sparte daraufhin. Dagmar zahlte ein Vermögen an Miete für die kleinere Hälfte einer alten Bürgerwohnung im Carrer Aragó, ganz nah beim Passeig Gràcia. Drei Minuten zu Fuß in die Kanzlei. Sie brauchte weder Auto noch U-Bahn. Und die alte Dame in der anderen Wohnungshälfte war fast taub, die jetzige Besitzerin. Die Señora Negre oder Doña Emilia war fast neunzig, Witwe, allein stehend und voll von Geschichten aus der großen Vergangenheit Barcelonas. Dagmar hörte ihr zu, kaufte für sie ein, füllte Formulare aus und ging zu Behörden. Im Moment war es ruhig. Sie schlief. Hoffentlich.
Dagmar blätterte um. Und wieder zurück. Versuchte, sich zu konzentrieren. Acosta gegen Meinhard. Ein sogenannter Fall von Kindsentführung. Ein spanischer Vater, eine deutsche Mutter. Sie hatte die Kinder nach Berlin mitgenommen, ohne den Vater vorher offiziell zu verständigen. Damit war es Kidnapping.
Dagmar konnte nicht weiterarbeiten. Sie holte das alte Foto von Sarah und Achim hervor, aber sie konnte durch den Tränenschleier kaum etwas erkennen. Ein kleines Mädchen mit dunklen Augen und Locken, etwas abstehenden Ohren und dem süßesten Lächeln der Welt. Und ein Junge mit blondem Borstenhaar und einem grimmigen Cowboyblick.
Sarah war jetzt sechs, Achim acht. Dagmar hatte ihre Kinder seit vier Jahren nicht mehr gesehen. Sie wusste nicht einmal sicher, ob sie noch lebten. Ob sie gesund waren. Sie konnte mit niemandem darüber sprechen. Das wird schon, sagten alle beruhigend, du musst nach vorne schauen, du bist doch noch jung, die Zeit wird dir helfen. Dagmar konnte die dämlichen Sprüche nicht mehr hören.
Sie konnte sich auch nicht auf ihren Fall konzentrieren. Sie konnte die Mutter so gut verstehen. Wenn sie könnte, sie würde ihre Kinder sofort entführen. Irgendwohin.
Aber sie vertraten den Vater. Tomás Acosta, 28, Sohn wohlhabender Eltern. Er hatte die Filmakademie besucht und mit seinem Abschlussfilm einen Preis in Berlin erzielt.
La vida de una mujer. Er hatte den Film sehr geschickt, pseudoehrlich und
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