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Meines Bruders Moerderin

Meines Bruders Moerderin

Titel: Meines Bruders Moerderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irene Rodrian
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dass ich Sie zur Polizei begleite?«, fragte er. Der Texaner drehte sich unter dem Degen. Die Bewegung brachte ein paar Blutströpfchen hervor. »Sie glauben, Sie wären bestohlen worden. Ich aber glaube, dass sie gerade dabei waren, ein Kind zu missbrauchen. Mein Kind!« Der Magier legte Barbara den Arm um die Schultern, und noch niemals in ihrem Leben hatte sie sich so sicher gefühlt.
    Der Texaner hob die Fleischkraken. Tränen quollen ihm aus den Augen, Schweißbäche rannen ihm von der Stirn und an der Nase entlang über das ganze Gesicht. Seine wulstige Unterlippe zitterte. »Sorry, das habe ich nicht gewusst, gewollt, sorry«, stotterte er kaum verständlich.
    »Ich kenne deinen Namen. I know your name! « Der Magier fixierte ihn, bevor er ihm den Ausweis zurückgab. Das Geld steckte er ein. Dann senkte er den Degen und piekste ihn dem Texaner kurz in den Bauch. Der schrie wie ein Schwein am Spieß, machte sich so flach wie noch nie in seinem Leben und quetschte sich am Magier vorbei. Und rannte davon.
    Barbara vergaß zu atmen.
    »Ich bin Paco. Und du musst nie wieder Angst haben«, sagte der Magier leise zu ihr und nahm sie mit. Sie mussten nicht weit gehen.
    Paco lebte in einem unterirdischen Schloss. Eine ganz normale Kellertreppe in einem engen, heruntergekommenen Haus. Eine Tür, noch eine Tür und eine dritte Tür. Dahinter ein Gewölbe von über dreihundert Quadratmetern Wohnfläche und vier bis sechs Metern Höhe. Die Räume gingen offen ineinander über. Eine supermoderne Küche, ein eleganter Salon mit antiken Möbeln, seidenleuchtenden Perserteppichen und Gemälden aus vergangenen Epochen. Vier gemütliche Schlafzimmer und in jedem Raum das passende Licht. Barbara war in einer anderen Welt angekommen, und hier merkte man nicht, dass diese Welt unterirdisch war.
    Paco gab ihr zu essen und zeigte ihr eins der Schlafzimmer. Er sagte ihr, dass sie sich überall frei bewegen könnte. Nur eine Tür sei verboten. Barbara hörte gar nicht richtig zu. Paco, der Magier kaufte ihr neue Kleider und redete mit ihr. Tage- und nächtelang. Wo sie her kam, was sie dachte, was sie wollte und wovon sie träumte. Er kochte vielgängige Menus und zeigte ihr, wie man sie aß. Er brachte ihr bei, wie man sich bewegt, wie man spricht. Und, als er merkte, dass sie gerne und leicht lernte, begann er mit einem umfassenden Unterricht in allen Fächern und den ersten Fremdsprachen.
    Barbara war glücklich. Zum ersten Mal in ihrem Leben war da jemand, der sich für sie interessierte, und der ihr die Möglichkeit gab zu lernen. Wie ein verdorrter Schwamm saugte sie sich voll. Natürlich wunderte sie sich. Paco kam ihr niemals zu nahe, nie berührte er sie auf unangenehme Art. Und natürlich stellte sie sich auch die Frage nach der verbotenen Tür. Aber er vertraute ihr, und sie hätte nie etwas getan, sein Vertrauen in sie zu gefährden.
    Nach einem Jahr erst öffnete er die geheimnisvolle Tür und brachte sie in die Werkstatt. Seine Akademie. Ein großer kahler Raum in gleißendes Licht getaucht. Überall standen Menschen in erstarrten Posen. Damen und Gentlemen aus dem vergangenen Jahrhundert, Geschäftsleute, Flaneure und Touristen von heute. Paco zeigte ihr, wo sie ihr Geld versteckt hatten, ihren Schmuck, ihre Wertsachen.
    Er forderte sie auf, einem Touristen mit Hawaiihemd und Bermudas die aus der Hemdtasche hervorlugende Brieftasche wegzunehmen. Das war einfach. Barbara griff vorsichtig mit zwei Fingern zu. Ein helles Glöckchen schrillte auf.
    Paco erklärte ihr das System. Überall an den Puppen waren Glöckchen angebracht, die Laut gaben, sobald man eine ungeschickte Bewegung machte. Paco war ein geduldiger Lehrer, aber er war auch streng. Nach einem zweiten Jahr stellte er ihr die Frage: »Willst du gehen oder willst du weitermachen?«
    »Weitermachen«, sagte sie, ohne zu zögern.
    Er nickte, als hätte er nichts anderes erwartet. »Gut. Aber eins muss ich dir sagen. Vor fünfzig Jahren war meine Akademie hier die Hohe Schule der Taschendiebe. Sie kamen damals aus allen Ländern Europas. Aber die Zeiten sind vorbei. Die Kunst, die ich dir beibringe, ist Vergangenheit. Sie wird dir nicht viel helfen können.«
    »Ich will sie trotzdem lernen.«
    »Ja, du bist begabt. Du bist etwas ganz Besonderes. Du wirst meine letzte Schülerin sein. Ich werde dich alles lehren, was ich weiß. Solange bleibe ich noch am Leben. Du bist meine Tochter.«
    Sie hatte ihn geliebt. Paco. Ihn bewundert. Und ihm blind vertraut. Paco, der

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