Meines Bruders Moerderin
sie dann doch verließ. Wie alle anderen auch.
Sein wachsbleiches Gesicht. Starr und kalt. Mit dieser spitzen, viel zu langen Nase und dem eingefallenen Mund. Uralt und fremd im Sarg. Der Deckel klappte zu, und die letzten Nägel wurden eingeschlagen. Pongg, pongg, pongg.
Sie weinte.
Eine kleine Samtpfote stubste sie an die Nase, und sie begriff, dass das Hämmern nicht zu ihrem Traum gehörte.
Eine unverständliche Megaphonstimme.
Erneutes Hämmern.
Holz splitterte.
Sie brachen die Tür auf.
Fritz mienzte und sprang weg.
Barbara konnte sich nicht bewegen. Aus dem Augenwinkel sah sie Fritz aufs Fensterbrett springen. Hau ab, dachte sie, lauf! Jetzt musst du wieder selber für dich sorgen. Sorry, mein Süßer ...
Sie dämmerte weg, wurde wieder wach, als man sie brutal auf den Bauch drehte und mit kalten Handschellen ihre Arme zusammenzwang. Männerstimmen. Lachen. Gesichter hinter martialischen Uniformen. Gewehre, Mündungen, die auf sie zielten. Es war zu Ende. Fritz, hau bloß ab. Sie spürte Tränen an ihren Augen herunterlaufen, ohne zu weinen. Sie weinte nie. Fritz, mein Süßer, bring dich in Sicherheit. Sie wollte aufstehen und gehen, aber ihre Beine knickten ein. Sie rissen sie hoch und schleiften sie mit.
»Halt!«, ein Mann. Und gleich darauf eine junge Frauenstimme:
»Seid ihr jetzt völlig übergeschnappt! Sie muss sofort ins Krankenhaus. Sofort!«
»Handschellen weg und runter mit ihr!«, wieder der Mann. Sie wurde sanft und extrem vorsichtig auf den Boden gelegt. Klicken. Ihre Hände waren wieder frei. Ruhe. Dann über ihr das runde Gesicht einer Frau. Dunkle Augen, feuerrotes Stoppelhaar, und ein breiter ungeschminkter Mund.
»Machen Sie sich keine Sorgen. Ich bin Pia Cortes. Ich kümmere mich um alles. Auch um Ihre Katze. Ich versprech's Ihnen!« Sie drückte ihr die Schulter.
Hau ab, Fritz, dachte Barbara, hau bloß ab! Trau keinem! Aber die Hand war tröstlich.
»Was ist denn hier los?!«, eine neue Männerstimme. Hoch und aggressiv. Es wurde sehr hell. Blitze.
»Cool runter«, wieder die erste Männerstimme. »Und halt die Fotografen zurück, verdammt. Diese Frau hier ist schwer verletzt, sie muss ins Krankenhaus. Und zwar sofort!«
»Dass ich nicht lache. Das ist die Mörderin!«
»Selbst wenn sie es sein sollte, willst du, dass sie uns hier stirbt?« Dann Schweigen. Neue Gesichter. Weiße T-Shirts mit dem grünen Insalud-Emblem. Immer noch die Hand. Sie wurde hochgehoben und auf eine Trage gelegt. Hilflos.
Die Hand ließ sie los.
Das war das Ende.
Barbara weinte, wie sie noch nie in ihrem Leben geweint hatte. Sie konnte es nicht mehr stoppen. Es war erniedrigend. Aber auch erleichternd. Alles egal.
Es war vorbei.
14
Pia kam sich ziemlich blöd vor, aber versprochen war versprochen. Sie hockte mit einem geliehenen Katzenkorb und drei Dosen Whiskas Gourmet auf einem Dachvorsprung und versuchte, den großen gelben Kater anzulocken. »Na, komm, mein Kleiner. Komm schon!« Sie hatte seinen Napf gesäubert und mit frischem Futter gefüllt. Fritz saß auf dem Nachbardach und starrte sie aus gelben Augen unfreundlich an. »Jetzt komm schon, du dummes Vieh. Ich hab für dich meinen Job riskiert.« Fritz war nicht beeindruckt. Pia ließ sich aufs Fensterbrett zurücksinken und wünschte, sie hätte das Rauchen nie aufgegeben.
Barbara Dyckhoff. Sie war so jung. Erst vierundzwanzig. Und viel schwerer verletzt und verbrannt als sie zunächst geglaubt hatten. Jetzt lag sie gut versorgt auf der Intensivstation, unter schweren Beruhigungsmitteln. Ihr drohten vermutlich einige Operationen. Es war ein Wunder, wie sie es geschafft hatte, überhaupt noch heimzukommen. Pia empfand so etwas wie Respekt vor dieser Barbara. Allein schon, weil sie sonst keinen hatte, der auf ihrer Seite stand. Sie war abgeurteilt, noch bevor sie wach wurde.
Toni hielt Hof. Die Reporter standen Schlange, und er erstattete ihnen Bericht. Charmant und humorvoll. Er hatte den Fall gelöst. In Schallgeschwindigkeit. Er wirkte sehr überzeugend. Und Sanchez-García stand breit hinter ihm. Die beiden waren so fotogen, dass man mit ihnen eine Fernsehserie hätte machen können.
Pia versuchte, mit Josep Bonet zu sprechen, aber er wich ihr aus. Sie folgte ihm. »Warte, Bonet. Es ist doch noch gar nicht erwiesen, dass dieses Mädchen die Mörderin ist. Wer ist Robert Reimann? Wer ist der andere Tote? Was war mit der Fernsteuerung? War Reimann dabei, das Tor zu schließen? Oder zu öffnen? Da stimmt doch was nicht. Bitte,
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