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Meines Bruders Moerderin

Meines Bruders Moerderin

Titel: Meines Bruders Moerderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irene Rodrian
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Señora einen Arm unter die Schulter und hob sie leicht an. Der Mund öffnete sich und übernahm die Tropfen widerstandslos.
    Dagmar suchte das Telefonbuch von Barcelona durch und fragte die Auskunft. Sie bekam neunzehn Emilio Negres in Barcelona und Umgebung. Um halb fünf hatte sie endlich den Richtigen.
    Die Türklingel schrillte, und Dagmar rannte zur Tür, damit er nicht noch einmal läuten musste. »Señor Negre?«
    Er nickte und kam zögernd herein. »Ist sie ... ich meine ...«, hilflos brach er ab. Er hatte nicht viel Ähnlichkeit mit seiner Tante. Groß und schwer, das helle Haar über einem unfertig runden Kindergesicht schon hoch gelichtet. Auch seine Kleidung, Klettsandalen, ausgebeulte Jeans und ein rotblaues Ringelhemd, hätte ein kleiner Junge ebenso tragen können. Er umklammerte eine nur schlapp gefüllte Sporttasche.
    »Sie schläft jetzt«, Dagmar brachte ihn in die Küche, goss ihm Kaffee ein und zeigte ihm die Medikamente und die Eieruhr. »Dr. Portell kommt gegen elf noch mal vorbei. Dann können Sie mit ihm alles weitere besprechen.« Sie ging zur Tür. Er sprang auf und schnitt ihr den Weg ab.
    »Bitte! Sie können jetzt nicht gehen!«
    »Emilio«, sie schob sich mit einem beruhigenden Lächeln an ihm vorbei, »Sie sind Ihr Neffe. Ich bin nur die Nachbarin, und ich war die ganze Nacht hier. Ich brauche etwas Schlaf. Wenn wirklich etwas sein sollte, bin ich ja gleich nebenan.« Sie öffnete die Tür. »Und denken Sie an die Medikamente!«
    Das hilflos runde Kindergesicht verfolgte sie noch bis in ihre eigene Wohnung, aber sobald sie den Anrufbeantworter blinken sah, war es vergessen. Zwei Anrufe, und gleich der erste war von Manel.
    »Manel hier. Adresse gefunden. Sehr groß, sehr teuer, sehr exklusiv. Extrem gut gesichert. Hohe Mauern um Haus und Grundstück. Wachpersonal. Noch keine Fotos möglich. Pförtner, Gärtner, Haushälterin und Nurse. Objekte besuchen internationale Schule. Bisher nie allein. Aber bei bester Gesundheit und Laune. Ich melde mich wieder.«
    Dagmar war so glücklich, so erleichtert, so außer sich vor Freude, dass sie den zweiten Anruf gar nicht mitbekam. Sie lebten. Sarah und Achim lebten, sie waren gesund, und es ging ihnen gut. Sie waren in Spanien. Sie wurden umsorgt, sie besuchten die Schule, bald würde sie Fotos bekommen. Sie hätte vor Glück weinen können. Sie drückte nochmal auf Wiedergabe. »Bei bester Gesundheit und Laune ...«
    Der Anruf danach kam von Pia. »Pia hier. Du wolltest mich sprechen? Ruf mich bitte nicht im Büro an. Ich bin in meiner Wohnung.«
    Dagmar wollte sie gerade zurückrufen, da meldete sich ihr Handy. Quäk-quäk-dideldü. Sie sah in ihrer Tasche nach, merkte, dass sie es wieder mal vergessen hatte und ging suchend dem Quäk-dideldü nach. Sie fand es im großen Zimmer an einer der wenigen freien Steckdosen beim Aufladen. Sie riss es an sich. Die Computerstimme von MoviStar gab ihren Kontostand durch. Sie musste dringend die Karte neu aufladen. Auf der Mailbox war eine Nachricht von Janet. Treffen heute, Mittwochmittag bei Pia. Dringend. Mittag. Das war schon in vier Stunden.
    Dagmar duschte ausgiebig und wusch sich die Haare. Sie sang sogar dabei. Keine Müdigkeit mehr, Adrenalin pur. Über ein weißes Top zog sie einen weit geschnittenen Hosenanzug aus rotem Leinen an. Sie hatte ihn vor Monaten reduziert gekauft und nur einmal angehabt. Fustés Bemerkung - haben wir jetzt auch schon rote Müllsäcke? - hatte ihn ihr sofort verleidet.
    Heute war ein neuer Tag. Der Anzug war schön, praktisch und saubequem. Dazu weiße alpargatos statt unbezahlbarer roter Sandalen.
    Janet anrufen. Schlüssel. Handy mitnehmen. Gas ausschalten. Unterlagen. Tasche. Besuchserlaubnis ... Dagmar lief noch dreimal zurück in die Wohnung.
    An der Tür der Señora hing immer noch der gelbe Zettel. Dagmars gute Stimmung sackte auf Null. Dableiben. Läuten. Den Neffen fragen, ob sie helfen könnte. Verhindern, was er vorhatte. Die alte Dame in ein Heim abzuschieben. Eingreifen.
    Dagmar blieb nicht stehen.
    Sie musste ein Taxi nehmen. Diesmal wurde es teuer. Als sie beim Gefängnis ankam, war es genau neun Uhr.

27
    Ein gelbes Rechteck. Der Schrei einer Möwe. Langsam färbte sich das Gelb zu Blau. Die Möwe stieg hoch, und das Bild blieb auf ihrer Netzhaut haften. Das blaue Rechteck mit der nach oben fliegenden Möwe.
    Barbaras Zimmer ging auf einen Hinterhof. Die Mauern des Seitenflügels begrenzten ihren Blick auf den Himmel. In der Ecke wand sich ein

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