Meines Bruders Moerderin
Abzugsrohr aus Metallgliedern hoch. Wenn die Sonne aufging, blinkte es wie matt poliertes Silber. Anscheinend gab es da unten Mülltonnen, für die sich die Möwen interessierten. Das Meer war gleich um die Ecke.
Seit Barbara auf die Beruhigungstabletten verzichtete, waren die Nächte unendlich lang. Aber die Schmerzen waren einem stetigen, gut erträglichen Spannungsgefühl gewichen, solange sie die Hände nicht berührte oder bewegte. Die neue Haut an den Fingern war noch rosig dünn, aber sie wuchs und begann, sich zu schließen. Es sah schlimmer aus als es war. Zuerst hatten sie vorgehabt, ihr Hautstreifen vom Oberschenkel und von der Hüfte auf die Arme zu pflanzen, und sie wollten für die Handrücken Zellkulturen von ihrer Haut anlegen. Keine Rede mehr davon. Nun sorgten sie dafür, dass die Nekrose, das verbrannte Gewebe abgestoßen wurde, sie erneuerten regelmäßig die Gazeverbände mit heilenden und entzündungshemmenden Salben. Sie war zufällig hier gelandet, und das war ihr Glück. Mendoza war ein international anerkannter Spezialist auf diesem Gebiet.
Yolanda brachte ihr Frühstück. »Du siehst müde aus.«
»Mir geht's gut.« Barbara nahm den Kaffee aus der Schnabeltasse. Er schmeckte. Sie hatte Hunger und biss genüsslich in das Croissant, das Yolanda ihr hinhielt.
»Du hast Besuch.« Yolanda sah sie nicht an.
Barbara drehte den Kopf weg. »Polizei.« Ihr Appetit war verflogen.
»Ich hab sie so lang wie möglich aufgehalten. Ich dachte, du solltest vorher wenigstens was im Magen haben.« Yolanda stellte das Tablett auf dem Nachttisch ab und ging zur Tür. Ihre Rastalocken bebten vor Empörung.
Priester und Schmalzlocke kamen herein. Calvet, der knochenharte Untersuchungsrichter und Toni Botía, dieser dümmliche Pomadenschönling.
Sie hatte gehofft, dass die Frau, die Fritz gerettet hatte, dabei war, Pia. Oder wenigstens dieses wandelnde Fragezeichen mit dem grauen Mop auf dem Kopf. Bonet. Keine Chance.
Schmalzlocke zerrte hastig zwei Stühle ans Bett. Er hatte schokobraune Hosen an, ein weißes Lacoste Polo und ein braun-weißes Kuhwestchen wie Little Joe von der Bonanza. Halbhohe Stiefeletten aus Eidechsenleder.
»Wo ist dein Lasso, Cowboy?« Barbara musste lachen, bis die Narben in ihrem Gesicht zu reißen drohten. Sie wusste, wie sie aussah. Das rasierte Haar, die Wimpern und Brauen in dunklen Stoppeln andeutungsweise nachgewachsen, die Narben feuerrot. Toni wich entsetzt zurück, Barbara lachte.
»Freut mich, dass es Ihnen wieder besser geht.« Calvet setzte sich auf den ersten Stuhl und öffnete eine prallvolle Aktenmappe. »Dann können wir ja Nägel mit Köpfen machen. Es geht nach wie vor um den Doppelmord mit Brandstiftung. Ich kann nur hoffen, dass Sie Ihre uneinsichtige Haltung endlich aufgeben. Sie könnten sich viel Ärger ersparen, wenn Sie mit uns zusammenarbeiteten. Denn leider sind die Beweise erdrückend.«
»Ich will meinen Anwalt sprechen.«
»Vielleicht auch Ihren Konsul?«
»Was für einen Konsul? Ich bin naturalisierte Spanierin! Ich will nur meinen Anwalt, verdammt. Das ist mein Recht!«
»Können Sie. Bitte«, Calvet hielt ihr sein Handy hin. »Rufen Sie ihn an.«
»In meinem Nachttisch hab ich die Visitenkarte. Da ist die Nummer drauf. Kanzlei Fusté. Dagmar Warwitz.« Barbara hielt ihre bandagierten Hände hoch. »Rufen Sie dort bitte für mich an.«
»Ich bin Untersuchungsrichter, nicht Hotelportier.« Calvet lächelte. »Gut, kommen wir zu den Fakten. Sie waren seit sechs Monaten die Geliebte von Robert Reimann. Er hielt Sie für eine niedliche kleine Taschendiebin, er wollte Sie von der Straße holen und Ihnen Auftritte in Fernsehshows verschaffen. Dann fand er heraus, dass Sie einen schwunghaften Handel mit Kokain betrieben. Zuerst deckte er Sie aus Liebe und Mitleid. Aber Sie konnten nicht treu sein. Die ganze Zeit über trafen Sie sich weiter mit Ihrem früheren Freund, einem jungen Mann mit den Initialen V. B. Wir werden seine Identität herausfinden. Reimann machte mit Ihnen Schluss. Sie wollten Ihren reichen Sugar Daddy nicht verlieren, aber Reimann hatte endgültig die Nase voll. Er drohte, Sie anzuzeigen, wenn Sie ihn nicht in Ruhe ließen. Sie konnten ihm nicht mehr trauen. Er war für Sie zur Gefahr geworden.«
Barbara starrte ihn an. Sah sein Gesicht, das sich wabernd vor und zurück bewegte, das anschwoll und stecknagelkopfklein zusammenschmolz, sie verstand nichts. »Sag mal, bist du noch ganz dicht, oder sind wir hier in der
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