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Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Titel: Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wibke Bruhns
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sowieso bald sterben, und ich solle wissen, wie wunderbar mein Vater gewesen sei: »Det var saa skønt og jeg har aldrig glemt det« – es war so schön, und ich habe das nie vergessen. Ihre Schwester und ich waren uns einig, daß dies eine zauberhafte Geschichte sei. Was für ein Mann, wenn Menschen, vor allem Frauen, nach so vielen Jahren immer noch glänzende Augen bekommen, sobald von HG die Rede ist. Aber natürlich, auch da waren wir uns einig, war diese Geschichte wishful thinking nach langen Jahren, Anette habe sie sich zurechtgeträumt.
    Hat sie nicht. Ich finde sie unter dem 14. Februar 1934 in HGs Tagebuch: »Nachts hat A. bei mir geschlafen, sehr zärtlich.« Hast du Worte? Da schicken Eltern ihre minderjährige Tochter aus einer dänischen Kleinst-Stadt an den Bismarckplatz in HGs und Elses Obhut, und der Kerl, doppelt so alt wie sie, lockt das Kind ins Bett! HG schreibt nicht, daß er mit ihr geschlafen hat, »bei mir« steht da, und Anette habe ich in meiner Überraschung nach Details nicht gefragt. Aber das wird schon dabei geblieben sein. Trotzdem – was weiß der denn von einer Jungmädchen-Seele! HG kennt sich doch in seiner eigenen Seele nicht aus. Und daß Anette leuchtet 60 Jahre später auf ihrem Sterbebett – hat HG das wissen können? Vielleicht bin ich doch prüder, als ich denke. Nein. Ich habe Töchter. Else hat die Geschichte mit Anette nie erfahren, Gott sei Dank.

    »Wir singen Hitler-Lieder«

N EUN
    HG UND E LSE SIND UMGEZOGEN INZWISCHEN . Mit drei kleinen Kindern war die Domplatzwohnung zu eng, und so ist es nun doch der oberste Stock des Bismarckplatz-Hauses geworden, obwohl Else sich nie hat vorstellen können, mit den Schwiegereltern unter einem Dach zu leben. Aber das geht offenbar gut, es ist so viel Platz vorhanden, daß man sich noch nicht einmal auf der Treppe begegnen muß – es gibt zwei davon. Die Wohngemeinschaft ist ökonomisch vernünftiger, denn das Geschäft schwankt nervenaufreibend hin und her. Die weltweite Agrarkrise beutelt auch I. G. Klamroth, mal gibt es überhaupt kein Geld, mal viel zuviel davon, die Konkurse von Geschäftspartnern reißen große Löcher in die Klamroth’schen Bilanzen. HG in seinem Hang zur Düsternis notiert »tiefe Mutlosigkeit«, »gräßliche Depression« überall, aber der »Schwarze Freitag« an den amerikanischen Börsen am 25. Oktober 1929 kommt bei ihm nicht vor.
    Jeder junge I. G. Klamroth braucht seine eigene Innovation. Für Kurt war es die Superphosphat-Mine in Curaçao. HG hat die Süßlupine entdeckt, das ist eine neue Futterpflanze, deren Entwicklung viel Geld verschlingt und viel Geld einbringt. Zusätzlich spuckt Curaçao ordentliche Gewinne aus, so richtig Mitleid muß man also nicht mit dem sorgengeplagten Kaufmann haben: Es wird ein »Horch 8« angeschafft, das war die S-Klasse unter den damaligen Autos, wenig später kommt noch ein schwarzrotes Mercedes-Kabriolett ins Haus, und die Firma kauft drei Grundstücke für neue Lagerhäuser. Die Stimmung im Land jedoch ist düster. Die Arbeitslosenzahlen steigen ins Astronomische – 1932 sind es sechs Millionen. Die Regierung hat schon lange kein Geld mehr, das zu bezahlen, und muß die Hilfe eines Bankenkonsortiums in Anspruch nehmen. Im Zuge des Börsenkrachs in den USA schmelzen in Deutschland die Devisenvorräte ab, weil das Ausland seine Anleihen zurückholt, dazu kommt eine schwere Bankenkrise, was viele Unternehmen mitreißt. Es ist ein Wunder, daß die Firma I. G. Klamroth da heil durchkommt.
    Die Wahlerfolge der Nationalsozialisten häufen sich, erst auf kommunaler, dann auf regionaler Ebene, vor allem auf dem Land und beim Mittelstand. Doch noch immer scheinen nicht viele sie ernst zu nehmen. Was zählt, sind die Klassenunterschiede: Welten liegen zwischen den Deutschnationalen, den Großlandwirten, dem Reichsverband der Deutschen Industrie, die der Restauration das Wort reden, und dem Pöbel der Nazis. Mit denen setzt man sich nicht an einen Tisch. Noch im Januar 1932 verweigern Ruhr-Industrielle Hitler die von ihm erbetenen Finanzhilfen.
    Aber wenigstens zuzuhören hätte sich gelohnt. Die Nationalsozialisten haben immer gesagt, was sie wollten. Joseph Goebbels am 30. April 1928: »Wir gehen in den Reichstag hinein, um uns im Waffenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waffen zu versorgen. Wir werden Reichstags-Abgeordnete, um die Weimarer Gesinnung mit ihrer eigenen Unterstützung lahmzulegen. Wenn die Demokratie so dumm ist, uns für diesen

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