Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)
eine Zukunft seine Hand zu reichen.
Bei der Wahl 1930 wählt er etwas, das »Deutsches Landvolk« heißt, das paßt ja. Bei den zahlreichen Urnengängen der kommenden Jahre rettet er sich jedesmal zu den »Sonstigen«, nur bei der Stadtverordnetenwahl in Halberstadt am 12. März 1933 gibt er seine Stimme der»Kampffront Schwarz-Weiß-Rot«, das ist ein Zusammenschluß von Deutschnationalen, Stahlhelm und Konservativen ohne Parteibuch. So hofft er wohl – vergeblich –, die Nazis zu Hause zu verhindern. Ich spüre die Vermeidungsstrategie hinsichtlich Hitlers Mannen. Was soll er auch machen, wenn ihm der Weg zu Sozialdemokraten oder – Gott behüte – Kommunisten versperrt ist? Katholisch ist er nicht, also fällt das »Zentrum« aus, mit Bayern hat er auch nichts zu tun, das verschließt ihm die »Bayerische Volkspartei«.
Ohne Kinder fahren Else und HG im schwarzroten Mercedes-Kabrio 1931 nach Österreich und Italien. Ich weiß nicht, wie die das gemacht haben, inzwischen gilt strenge Devisen-Bewirtschaftung. Ich weiß auch sonst nicht, wie das hat gehen können, ohne daß da permanent dicke Luft herrscht, denn Else wird nicht ahnungslos gewesen sein bezüglich Clärelieses Nachfolgerinnen. Manche bringt HG sogar mit nach Halberstadt, »damit Else sie kennen lernt«. Ich habe zu Hause andere Regeln für Geschmack gelernt. Aber ich habe mir versprochen, mich rauszuhalten, und die Reise haben beide genossen.
Ich erzähle davon auch nur, weil ich außer auf »viel Rotwein«, »grandiose Landschaft«, »Fanfarenmärsche der deutschen Marine-Kapelle auf dem Markusplatz (!), grandioser Eindruck« und eine »lange Nacht mit meiner sehr schönen Frau« wieder mal auf den pingeligen HG getroffen bin. Er schreibt die Tageskilometer auf – »über Quedlinburg-Jena bis Hof – 257 km«, er notiert, wo sie schlafen, »Wohnung im Hotel de l’Europe, Zimmer 12« – so macht der das immer! Der nimmt nicht den Zug »gegen zehn«. Der fährt um 9.52 Uhr ab und kommt um 12.17 Uhr irgendwo an. Der holt jemanden von der Bahn um 21.23 Uhr, das kenne ich seit seinem Sommertagebuch für die Ferien auf Juist, und da war er 14. Paßt das zusammen – der Fahrplan-Fuchser und der womanizer? Ich fürchte, das paßt. Es gibt monströse Beispiele. Da ist viel Platz in so einer Psyche.
Der Reichstagswahlkampf im Sommer 1932 ist der schlimmste, den Deutschland je erlebt hat. Allein in Preußen gibt es innerhalb von sechs Wochen 322 Terroranschläge mit 72 Toten und 495 Schwerverletzten. Beim Altonaer Blutsonntag am 17. Juli kommen bei Zusammenstößen zwischen Nationalsozialisten und Kommunisten 18 Menschen um, 68 werden verletzt. HG im Tagebuch: »Wer schafft Ordnung im Land?!« Die meisten Leute glauben, die Nazis hätten das Zeug dazu. Bei der Wahl am 31. Juli legen die um 19.4 Prozent zu, die Zahl der Mandate steigt von 107 auf 230. Noch haben sie nicht die parlamentarische Mehrheit, noch stemmt sich ein Mann starrköpfig gegen Hitler – Hindenburg betrachtet es als Zumutung, daß er den »böhmischen Gefreiten zum Reichskanzler machen« soll.
Man kann das abkürzen. Die Geschichte kennen wir. Hindenburg hat Hitler schließlich zum Reichskanzler gemacht am 30. Januar 1933, das ist ein Montag, und daß irgend jemand im Hause Klamroth aus diesem Anlaß Schubert bemüht hat, ist eher zu bezweifeln. Aber daß sich »alles, alles wendet«, steht außer Frage. Auch in Halberstadt. Auch bei HG. Er ist in Berlin, als das passiert, langweilt sich in einer Sitzung des Düngerausschusses, »dort kommt die Sensationsnachricht: Hitler ist Reichskanzler!!! Abends großer Fackelzug in der Wilhelmstraße vor Hitler u. Hindenburg, den ich aus nächster Nähe und im lebensgefährlichen Gedränge miterlebe.« Und dann ist erst mal gar nichts. HG geht Dienstag in seine Sitzungen, abends Kino, ich sage nicht, mit wem, »F.P.1 antwortet nicht« heißt der Film. Am Mittwoch sticht ihn der Hafer, und er ersteigert auf einer Ostpreußenauktion ein sündhaft teures Pferd für 2750 Mark. »Lützow« heißt das Tier, er hat nicht viel Freude dran gehabt, »dann in 3 Stunden 55 Minuten (!) mit dem Mercedes nach Hause«.
Am Donnerstag ist Elses 34. Geburtstag – sie ist schwanger, »wir reden viel von Peter!« Großer Gott! Else bekommt ein Foto von »Lützow« geschenkt – das kennen wir, die Väter, die ihren Kindern die elektrischen Eisenbahnen kaufen für ihren eigenen Spieltrieb. Abends Gäste, Hinrichs’ sind dabei, »um drei Uhr im
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