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Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Titel: Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wibke Bruhns
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sich mit der Nähe Berlins zu Halberstadt beschäftigt und dessen Ende so geht: »Denn er ist jetzt Em de Err, wenn auch nur ›gewöhnlicher‹.« Unterschrift ohne »Heil Hitler«.
    Zwei Jahre später hat Wolf Yorck in seiner Eigenschaft als Reichstagsabgeordneter der NSDAP für HG eine Karte besorgt zu jener spektakulären Sondersitzung am 7. März 1936, in der Hitler den Einmarsch deutscher Truppen in die entmilitarisierte Zone am Rhein bekanntgibt. Der Reichstag wurde wieder einmal aufgelöst, damit das deutsche Volk in einer Neuwahl am 29. März seine »feierliche Zustimmung« geben könne. Das tat es denn auch mit 99 Prozent Ja-Stimmen. Ob die Freunde sich nach diesem Ereignis noch ausgesprochen haben, steht nirgendwo, danach jedenfalls ist Wolf Yorck weg. Er ist kurz nach HGs Tod 1944 gefallen.
    Nach dem Besuch der ungebetenen Gäste steht in HGs Tagebuch: »Sehr früh fahren die Nazis ab nach Bad Harzburg. Kontor, Spätnachmittag mit Schönfeld gemütlich Schampus getrunken und viel geredet, danach abends sehr müde und ziemlich blau.« Das kann ein Zufall sein. Aber HG hat, soweit ich weiß, noch nie mit Dr. Schönfeld irgend etwas getrunken. Schönfeld ist der Kinderarzt, und Schönfeld ist Jude. 1935 wandert er nach Palästina aus, Else schreibt ins Kindertagebuch: »Es tut uns allen sehr leid, und besonders Jochen bewegt die Frage sehr, daß Juden doch auch Menschen wären.«
    Die Atmosphäre im Land empfindet HG als »zunehmend schwül«. Da ist die verheerende wirtschaftliche Situation, die Konkurse häufen sich, Theater schließen aus Geldmangel. In Berlin sind es Anfang 1930 sechs, zwei Jahre später 16. 104 Kinos sind dicht, Tendenz steigend. Die tätlichen Auseinandersetzungen auf den Straßen nehmen überhand, 1930 gibt es in Preußen bis zum Oktober schon 45 politische Morde, Tendenz auch hier steigend. In mehreren Ländern werden Versammlungs- und Uniformverbote verhängt, am Vorabend des Verfassungstages treten in Berlin etwa 400 Nationalsozialisten einheitlich in weißen Hemden auf und reißen am Schloßplatz die schwarz-rot-goldenen Fahnen herunter. Zur Reichstagseröffnung am 13. Oktober 1930 marschieren die 107 Abgeordneten der NSDAP als geschlossener Block in den Plenarsaal – kostümiert mit den Braunhemden der SA. Gleichzeitig pöbeln auf dem Ku’damm Schlägertrupps jüdische Passanten an und demolieren jüdische Geschäfte.
    Es sind die Jahre, in denen die Reichskanzler Brüning, Papen, später Schleicher sich die Klinke in die Hand geben, eine böse, eine giftige Zeit. Ich sehe HG ratlos und auf der Suche nach Orientierung. Die »Deutsche Volkspartei« ist nach Stresemanns Tod 1929 in Agonie, sich aus der Politik rauszuhalten ist bei der allgemeinen Polarisierung rundherum keine Lösung. HG hört sich um bei Veranstaltungen des »Jungdeutschen Ordens«, wo gemeinsam mit Dissidenten der Deutschnationalen ein Platz im eher gemäßigt bürgerlichen Lager gesucht wird. Er besucht Gründungstreffen der »Deutschen Staatspartei«, die eine liberale Mitte besetzen will. HG geht zum »Herrenklub« des Heinrich von Gleichen-Russwurm, einem konservativen Elite-Verein aus Wirtschaft, Politik und, nun ja, Kunst. Allein dort zugelassen zu werden, verstehen die Mitglieder als Ritterschlag.
    Nie finde ich HG bei Sozialdemokraten, bei Gewerkschaftern. Das ist bei seiner Biographie vielleicht nicht verwunderlich, aber daß er nicht wenigstens neugierig ist! Dabei liest HG keineswegs einseitig. Jetzt, wo er nicht mehr so viel Bridge spielen muß, kommt er wieder dazu, und da holt er zwar Ernst Jünger nach und wundert sich über Arnolt Bronnens Oberschlesien-Roman »O.S.« – »Faschist oder nicht?!« Doch HG verschlingt auch Remarques Erfolgsroman über den Ersten Weltkrieg »Im Westen nichts Neues« und empört sich über die Nazi-Krawalle gegen den Film: »Mob! Und die Polizei sieht zu.«
    In Düsseldorf – HG ist jetzt dauernd in Sachen Süßlupinen unterwegs – geht er abends mit einer seiner Damen in einen Festvortrag über Heinrich Heine. Antisemitische Randalierer sprengen die Veranstaltung. HG: »Nur noch durch die Hintertür raus. Zum Kotzen!« Im Juni 1931 besucht er eine Ausstellung von Max Liebermann im Münchner Kunstverein: »Nazis lungern vor der Tür. Das kann so nicht bleiben.« Carl von Ossietzky schreibt in der Weltbühne: »Die nationalsozialistische Bewegung hat eine geräuschvolle Gegenwart, aber gar keine Zukunft.« Jedenfalls hat HG offensichtlich keine Lust, ihr für

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