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Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Titel: Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wibke Bruhns
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zählt auf, wer da war und wer nicht und warum (»krank« – »Todesfall« – »Taufe in Kiel«), sie notiert von »amüsant« bis »etwas schleppend« den Verlauf des jeweiligen Abends und wie lange das Ganze gedauert hat – »um halb vier im Bett«. Bei ihr trifft man sich zum Bridge an mehreren Tischen oder zu Hauskonzerten, sie malt die Tischordnungen in ihr Buch und vermerkt die Fehler (»Oberleutnant von Arnim und Frl. von Gilsa – nicht gut«), sie sortiert Leute aus (»nicht wieder einladen«) und führt auf, was es zu essen und zu trinken gibt und wieviel.
    Geschult in der dänischen Küche bietet sie für größere Runden an den Bridge-Abenden, bei Konzerten und Vorträgen »smørre brød« an. Dabei handelt sich nicht um diese tellergroßen Kunstwerke, die es früher in den einschlägigen Restaurants mit den meterlangen Speisekarten gab. Was Else macht oder machen läßt, ist damals schon »fingerfood«. Mit Süßweingläsern werden Brot-Kreise ausgestochen, darauf sind die köstlichsten, vor allem wunderbar aussehenden Leckereien arrangiert in den erstaunlichsten Kombinationen. Von ihr weiß ich, daß Pellkartoffel-Scheiben mit Sour Cream – »Dickmilch aus Sahne« steht in Elses Kochbuch – plus Kaviar, und winzigen Zitronenschnitzen sehr delikat sind auf Schwarzbrot. »Keine Zwiebeln, Wibke, du verdirbst den Kaviar, und die Leute riechen aus dem Mund!« Ihre Käse-Rondelle mit frittierten Johannisbeeren thronen auf einer Apfel-Unterlage, die Hasen-Pastete mit Cumberlandsoße unter krossen Zwiebeln ist ein Gedicht.
    Heute bietet das jeder Caterer an. Damals stellten die Küchenmädchen diese Kunstwerke her – Blätterteig von Hand gemacht, gefüllt mit kleinen Nierenstückchen –, Elses Kochkünste sind in Halberstadt berühmt und HGs ganzer Stolz: »Else hat wieder gezaubert!« Nicht nur in der Küche. Sie beleuchtet den Garten durch Lampen in Büschen und Bäumen, sie setzt Licht mit vielen Kerzen, sie deckt festliche Tische und komponiert die üppigsten Blumenvasen aus Ilex, Vogelbeeren und Herbstastern – steht so im Gesellschaftsbuch – und sie strahlt. Ich habe ein Foto von ihr gefunden, da ist sie gerade 30, und jetzt ist sie eine wirklich schöne Frau.
    Und ausgerechnet jetzt betrügt sie ihr Mann. Das schleicht sich ein. Das ist vielleicht ganz normal nach sechs Jahren intensiver Ehe, und die beiden gehen schließlich »erwachsen« damit um. Im nachhinein denke ich, ob es nicht besser gewesen wäre, sie hätten sich damals getrennt. Aber was heißt schon im nachhinein – die wissen ja nicht, was ich weiß, und wieviel Quälerei auf sie zukommt. Sie ahnen nicht, daß dies der Anfang ist vom Ende. Ich erzähle die Geschichte nicht gern. Sie macht mich traurig. So jedenfalls fängt sie an: Cläreliese und Helmuth Hinrichs, Eltern von zwei kleinen Kindern, das dritte ist wenig später unterwegs, ziehen 1928 nach Halberstadt, Helmuth ist Dermatologe und übernimmt die Praxis eines Korpsbruders.
    Cläreliese nach dem Krieg in ihren Erinnerungen: »Helmuth hatte einmal während einer Fahrt von Magdeburg nach Halberstadt eine Frau kennengelernt, über die in Halberstadt viel und falsch gesprochen wurde. Es war ›die junge Frau Klamroth‹, die Schwiegertochter des Kommerzienrats Klamroth, dessen Familie die angesehenste der Stadt war. Diese Frau war bekannt durch ihren ungewöhnlich scharfen Verstand und durch die Tatsache, daß sie in die durchschnittliche Halberstädter Gesellschaft nicht hineinpaßte. Wir wurden oft gefragt ›Kennen Sie die Frau, der man kein X für ein U vormachen darf?‹ Sie ist eine geborene Podeus. Helmuths erster Eindruck von ihr war, daß sie eine Zigarette nach der anderen rauchte und besonders schöne Beine hatte.«
    Die Hinrichs’ machen Besuch bei HG und Else, die brezeln sich ihrerseits auf mit Cut und »hohem Hut« und besuchen zurück, am 11. Dezember 1928 finde ich Hinrichs’ zum ersten Mal in Elses Gesellschaftsbuch zum Essen. Cläreliese schreibt: »Diese beiden Menschen zu Freunden zu besitzen, gehört mit zu den schönsten Geschenken unseres Lebens. Viele Jahre haben wir alles miteinander geteilt, Freude, Sorgen und Leid. Wir bildeten mit unseren Kindern fast eine gemeinsame Familie, und die sind auch mit ihnen bis jetzt befreundet.« Das ist alles richtig. Ich habe bei der Hochzeit von Hinrichs’ ältester Tochter Blumen gestreut 1944, mit dem jüngsten Sohn, spät geboren wie ich, habe ich Ende der 50er Jahre in der Berliner

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