Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)
Wissen als verlobt betrachten dürfen.«
Es ist Krieg! Jede Möglichkeit muß ausgenutzt werden, es gibt nicht viele. Bernhard sitzt in den Kämpfen der sowjetischen Winteroffensive im dicksten Dreck, kann irgend etwas Eltern veranlassen, dem jungen Glück der jungen Leute im Weg zu stehen, wenn sich ein Schlupfloch fände in einen Tag voller Seligkeit? Else und HG versuchen noch, ihrer Vorstellung von einer geordneten Ausbildung für die Tochter gerecht zu werden, indem sie Ursula auf die Reichsfrauenschule Reifenstein-Eichsfeld schicken, wo die »Maiden« lernen, Hühner zu schlachten, Blumen in Vasen zu stellen und Ernährungslehre für Schwangere. Bernhard schreibt mit genußvollem Sarkasmus an die »Reichsfrauen-Maid«, Ursula stöhnt, daß sie zu Hause alles viel intensiver lernen könne, es ist lauter Hochadel von den Hohenzollerntöchtern bis zu Habsburg-Damen um sie herum, und beide Liebende betrachten die Heimarbeit als das, was sie ist: ein Psychopharmakon für elterliche Nerven.
HG ist durcheinander. Siedendheiß fällt ihm auf, daß er seine Tochter im Grunde nicht kennt – sie wurde gerade 15, als er in den Krieg ging, und in den Jahren davor war HG so vielfältig auf anderes konzentriert, daß sie für ihn nicht viel mehr gewesen sein dürfte als ein Teil des häuslichen Gewusels. Er schreibt an beide eher hilflos über die benötigte Zeit, um »aus Ursulas guten Anlagen etwas Gefestigtes, Erwachsenes zu machen«, an Bernhard: »Sie hat – wie sollte das mit knapp 17 Jahren anders sein! – noch nie Gelegenheit zu Vergleichen gehabt«, an Ursula: »Wärest Du drei Jahre älter und hättest Du mir bereits in Wort und Tat bewiesen, daß aus unserer bisher doch noch recht unfertigen, labilen kleinen Ursula eine selbstsichere, charakterfeste Persönlichkeit geworden ist«. An Else: »Ist denn Warten sinnvoll? Jeden Tag kann Bernhard etwas zustoßen und wir haben Ursulas Glück verhindert, wenigstens ein kurzes Glück!« HG kann nicht wissen, wie recht er hat – in zweieinhalb Jahren sterben Bernhard und er am Galgen in Plötzensee.
Die Kommunikation ist schwierig, HG ist bei der Heeresgruppe Nord an der Grenze zu Estland, Bernhard in der Heeresgruppe Mitte bei Smolensk, Ursula in Reifenstein, das liegt irgendwo zwischen Fuchs und Hase in Thüringen, Else werkelt in Halberstadt, Briefe brauchen manchmal sechs Wochen. Bernhard kann sein Generalstabs-Telefon für gelegentliche Anrufe nützen, auch HG ruft er manchmal spät nachts an, der hat »ein eigenartiges Gefühl, mit diesem in meine Familie eingebrochenen Räuber zu sprechen«. Denn die kennen sich auch nicht wirklich – »höchstens als Vetter, Freund und Kameraden«, auf die familiäre Distanz. HG hat die rasanten Karriere-Sprünge des jungen Verwandten »immer mit schlecht verhülltem Neid verfolgt«, aber gesehen hat er ihn selten.
Verlobung soll doch sein, festgelegt wird der 17. Juli 1942, das ist Ursulas 18. Geburtstag. Bernhard kommt zu Pfingsten drei Wochen auf Urlaub, das ist das erste Mal, daß er und Ursula zusammenhängende Zeit miteinander haben, das schiere Glück mit Segeln auf dem Wannsee, verwunschenen Tagen im Jagdhaus der Klamroths in Britz. Ursula ist artig bei den Schwiegereltern in Grunewald, und in Halberstadt gerät Else über den Schwiegersohn ins Schwärmen: »Bernhard ist innerlich und äußerlich ein Gentleman, dazu ein ganzer Kerl und voll Leben, Humor und Jugend. Einen besseren und netteren Mann für Ursula zu finden, ist ganz undenkbar. Er ist ungeheuer anziehend, hoffentlich passiert ihm nichts, es wäre zu entsetzlich!«
Die Erlaubnis zur Veröffentlichung der Verlobung holt Bernhard bei seinem Stabschef ein, bei seinem Oberbefehlshaber und beim Chef des Stabes des Heeres – einfach so sich verloben geht nicht. Es gibt keine Probleme: Die hohen Chargen kennen entweder HG oder Bernhard persönlich und übermitteln Glückwünsche an das gnädige Fräulein Küken-Braut. Bei der Hochzeit, die ist im Januar 1943, wird die Geschichte komplizierter. Bernhard braucht von Ursula: »1. Arische Abstammung (notariell beglaubigt) 2. Eheunbedenklichkeitsbescheinigung (zuständiges Gesundheitsamt)« – ich vermute, hier geht es um den »erbkranken Nachwuchs« – »3. Polizeiliches Leumundszeugnis 4. Drei Leumundszeugen mit Anschrift 5. Erklärung über wirtschaftlich geordnete Verhältnisse«.
»Diese Papiere habe ich hier einzureichen, dann erkundigt sich Oberstleutnant v. Saldern bei den Bürgen, ob Du eine
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