Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)
ehrenhafte junge Dame bist. Sollten die Bürgen das bejahen (?), wird von hier aus die Erlaubnis mit Einsendung Deiner Papiere beim OKH« – das ist das Oberkommando des Heeres – »beantragt, das mir dann die Heiratserlaubnis erteilt, die ein halbes Jahr Gültigkeit hat und falls notwendig auf ein Jahr verlängert werden kann. Ich konnte nicht feststellen, was Du noch für Papiere auf dem Standesamt brauchst. Ich brauche außer meinem Soldbuch und meiner Heiratserlaubnis nichts. Ich vermute, die Eheunbedenklichkeitsbescheinigung (dolles Wort!) wird am längsten dauern, aber alles ist eilig.« Bernhard schreibt dies aus der russischen Winter-Wüste Anfang Oktober 1942.
»Arier-Nachweis«, beglaubigt – sollte sich das nicht mit dem Arierparagraphen in der Satzung des Klamroth’schen Familienverbands erübrigt haben? Else muß auch so ein Ding beibringen für irgendwas und flucht in einem Brief vom Juli 1942: »Ich muß ja sagen, die Liebe und Hochachtung vor meinen sicher tüchtigen Ahnen steigt und fällt mit der Arbeit, die sie mir machen. Die vielen und langen Vornamen und der kleine Platz in der Rubrik, und dann meine Schrift, – ich war nicht begeistert! Und dann muß ich auch noch hin und das beglaubigen lassen!! Dabei habe ich es noch leicht mit all der Vorarbeit von Großvater, aber all die anderen armen Leute!!« Weiter denkt sie nicht. Sie denkt nicht, daß diese ihre Mühe dazu da ist, andere zu stigmatisieren. Sieht sie nicht die Menschen auf der Straße, die seit September 1941 den Judenstern tragen müssen und denen gegenüber sie mit ihrem Arier-Nachweis dokumentieren soll, daß sie »wertvoller« sei?
Sie denkt überhaupt zu kurz. Im Kindertagebuch schreibt sie, wie dankbar sie sei, daß Sabine und ich trotz Krieg so fröhlich vor uns hin leben: »Die französischen Kinder, die russischen Kinder, sie alle, auch die belgischen und holländischen, griechischen und serbischen Kinder, sie alle haben das Grauen des Krieges kennengelernt, und Ihr dürft noch so unbekümmert spielen, weil unsere Soldaten so tapfer sind und sich so für Euch einsetzen.« Faßt man das? Kommt ihr nicht in den Kopf, wer im von Deutschland überrollten Europa den anderen Kindern das Grauen des Krieges ins Land geschleppt hat?
Die Verlobung am 17. Juli 1942 findet ohne Bräutigam statt, sein Bruder kommt aus Berlin und »gibt den Stahlhelm«. Ich lerne, daß bei Ferntrauungen im Krieg ein Stahlhelm den abwesenden Ehemann symbolisiert – was für ein gemütlicher Ersatz! In Bernhards Unterlagen finde ich viel Lametta in der Gratulationspost, von Generaloberst Heinz Guderian, dem »Vater« der deutschen Panzertruppen, über den Chef des Generalstabs des Heeres Generaloberst Franz Halder, mehrfach Initiator von Umsturzplänen – nach dem 20. Juli 1944 gerät er ins KZ – bis zum Oberbefehlshaber der 6. Armee Generalfeldmarschall Friedrich Paulus. Kein halbes Jahr später wird deren Tragödie bei Stalingrad den Anfang vom Ende Nazi-Deutschlands einläuten. Nicht einer der Gratulanten übrigens unterschreibt mit Heil Hitler. Die 10. Panzerdivision überschlägt sich mit Parfum und Seidenstoffen aus Paris, HGs alte »Zwölfer«, die Offiziere seines Halberstädter Infanterie-Regiments, übermitteln per Kurier mehrere Kisten Krim-Sekt. Es ehrt die Klamroths, daß die Familienfahne hochgezogen ist und nicht das Hakenkreuz.
Bernhard schickt 50 rote Rosen durch seinen Bruder Walter, das heißt, tatsächlich sind es Nelken. Walter hat sich die Hacken abgetrabt nach Rosen, vergeblich, und ich stelle mir 50 rote Nelken in der Vase vor, oder lieber nicht. Ursula ist das ganz egal, sie rührt sich nicht vom Telefon in der Hoffnung, daß Bernhard anruft, das tut er dann auch spät in der Nacht, und jetzt fühlt sich Ursula »richtig verlobt«. So weint sie es Else an die Schulter, und Else schreibt es in den nächsten Sonntagsbrief, und HG liest an der estnischen Grenze, »daß ich eine Tochter weniger habe. Oder habe ich einen zusätzlichen Sohn?«. Eine Woche später bekommt Ursula den Quittungsabschnitt einer Postanweisung über 250 Mark – das ist wieder ein Ritual. Diesmal geht es um Vertragserfüllung – die Kinder haben sich schriftlich verpflichtet, bis zu ihrem 18. Geburtstag nicht zu rauchen, dafür gibt es dieses Geld, das ist eine Menge zu der Zeit, HG hat es sich im Osten »mühselig abgespart«. Ab jetzt raucht Ursula wie alle anderen, nämlich heftig.
Nichtangriffspakt her oder hin, am 22. Juni 1941 greift
Weitere Kostenlose Bücher