Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)
»aber nicht weniger interessant zieht eine andere lange Schar Menschen täglich an mir vorüber, wenn auch der Begriff ›Mensch‹ dem menschenverachtenden Gegner bei ihrem Einsatz nicht in den Sinn gekommen zu sein scheint. Alte und junge Männer, alte Weiber und junge Mädchen, ja Kinder werden zu diesem Weg gepreßt, an dessen Ende nach völkerrechtlichen Bestimmungen der Tod durch Erschießen steht.«
»Wie oft habe ich in letzter Zeit mit Schaudern daran gedacht, wie es wäre, wenn Barbara, Ursula und Jochen auch zu solchen Zwecken mobilisiert worden wären – sind doch viele dieser unglücklichen Gestalten, die mir im Vernehmungsraum mit ängstlichen oder gleichgültig-stumpfen Blicken gegenübertreten, nicht älter als 16, 17 oder 18 Jahre. Nur ganz wenige von ihnen sehe ich dann später, sauber gewaschen, mit geschnittenem und frisiertem Schopf, durch den Obergefreiten Birk mit westeuropäischer Kleidung versehen (auf meiner Kammer ist alles, vom Schlüpfer bis zum Büstenhalter!) und mit froherem, dankbarem Blick auf meinem Hof, im Waschhaus oder in der Küche wieder – die meisten aber gehen the way of all flesh.«
»Dabei darf man nicht weich werden, und nirgends ist wohl die Mahnung mehr angebracht: ›Landgraf werde hart!‹ Jede unangebrachte Milde, jedes falsche Mitleid kann Hunderte deutscher Soldaten das Leben kosten, und bei dieser Alternative ist es schon besser, wenn eher mehr als zu wenig von diesen Untieren ins Gras beißen. Oder sind es vielleicht doch auch Menschen? Ich will es gar nicht wissen, denn hier gilt nur die Pflicht.«
Bernhard schreibt aus der Winterschlacht um Moskau an HG: »Die Partisanen sind eine schwere Bedrohung für den Nachschub. Sie kommen aus dem nichts, oft mit nicht viel mehr bewaffnet als ein bißchen Benzin und Streichhölzern, völlig gleichgültig, so scheint es, bezüglich ihres eigenen Lebens. Sie wissen, daß sie sofort erschossen werden. Aber ihre Zahl ist offenbar unbegrenzt, genau wie bei den gegnerischen Soldaten – wir nehmen 10 000 gefangen, und ein paar Tage später sind neue 10 000 da, wieder schlecht bewaffnet, aber todesmutig, die schiere Masse macht es, ein unerschöpfliches Reservoir, dem wir Vergleichbares nicht entgegen zu setzen haben außer unserer Intelligenz.«
HG im Sonntagsbrief: »Meine Männer und mich hat eine verbissene Passion erfaßt, unseren lieben Gegenspielern drüben möglichst rasch, systematisch und gründlich ihre Trümpfe aus der Hand zu spielen. Das ist wie beim periodischen System, hat man das einmal begriffen, sind die nächsten Schritte vorhersehbar, und wir können anhand der eingegangenen Vögel feststellen, wer noch fehlt und mit Erfolg nach ihnen fahnden. Man muß sie mit Logik finden, das ist keine Entenjagd.«
»Es ist schon spannend, wenn mir der Kopfhörer gereicht wird mit dem strahlenden und gespannten Blick des Funkers: ›Da ist er, Herr Major – Nr. 763! Noch dreimal Empfang, dann haben wir ihn‹. Und wenn dann diese Nr. 763 ein paar Tage später vor mir steht, dann kann man sich befriedigt sagen: mal wieder hundert deutschen Soldaten das Leben gerettet. Die bedauerlichen menschlichen Objekte dieser großen Spielerei sind dann meistens sehr erstaunt, mit wie umfassenden Kenntnissen ihrer häuslichen Verhältnisse ich ihnen gleich beim ersten Verhör ins Gesicht springen kann. Daß es alles Menschen sind, die uns und umgekehrt wir sie vernichten wollen, das tritt dieser Sammlerpassion gegenüber ziemlich in den Hintergrund und wird nur mir am Ende jedes Spiels kurz sichtbar, wenn das bewußte Paket mit Schuhen, Anzug und Wäsche unter dem trockenen Aktenzeichen Nr…. bei mir abgegeben wird.«
Ich weiß nicht, wie ich mich dazu verhalten soll. Krieg ist keine Schönwetter-Angelegenheit. Es hat die »franctireurs«, die Kämpfer hinter den feindlichen Linien spätestens seit dem Krieg 1870/71 gegeben, die Saboteure, die Sprengkommandos, die Mörder. Kurt hat sie 1914 in Belgien erlebt, als Bauersfrauen die Quartiermacher der deutschen Truppen mit Küchenmessern massakrierten. Sie tauchen auf in jedem besetzten Land, man nennt sie Terroristen oder Freiheitskämpfer je nachdem, ob sie siegreich sind oder nicht. Die Juden in Palästina haben so gegen die Briten gekämpft, die Palästinenser gegen die Israelis, Titos Partisanen in Jugoslawien gegen die Deutschen, die Liste läßt sich beliebig verlängern.
Hier in Rußland ist das eine Kampftruppe großen Stils, das NKWD jagt die Bevölkerung ganzer
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