Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)
Garten machen (›Hier würde ich alles wegreißen und e i n großes Blumenbeet anlegen‹), auf dem Rückweg in der Veranda bei den Großeltern einkehren, oben friedlich schlafende Kinder vorfinden und dann bald selbst dankbar für soviel Glück schlafen gehen… Ja – das möchte ich mal wieder.«
Else zu Hause hätte wahrscheinlich auch gern einen so friedlichen Sonntag – hieße das doch, daß irgend jemand vor Tau und Tag die Pferde sattelt, daß eine Köchin das Frühstück macht und den Braten rechtzeitig in den Ofen schiebt, daß die Kinder abends ins Bett gebracht werden von Marylee oder Gilberte oder einer Lieblingsdänin. Statt dessen kämpft Else mit Erbsen, Johannisbeeren und dem Auswärtigen Amt, das keine Genehmigung rausrückt für Sabine und mich, die wir die Sommerferien in Dänemark verbringen sollten. Daraus wird nichts, dafür hat Else zwei Berliner Ferienkinder im Haus, die ihr die NSV, die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt, geschickt hat, damit sie bei ihr aufgepäppelt werden – »sieben und zehn Jahre alt, die Zehnjährige kleiner als Sabine und 15 Pfund leichter. Sie erzählten gestern, daß sie nie warmes Essen bekämen, bei beiden sind die Väter im Krieg und die Mütter arbeiten.«
Else hält, wie HG, die verstreute Familie mit zahlreichen Kopien der Sonntagsbriefe zusammen: »Wie Vater es macht, so viele leserliche Durchschläge hervorzuzaubern, ist auch eines der vielen ungelösten Rätsel dieses Lebens.« Sie kommen alle dran, Barbara, die mittlerweile Chemie studiert in München: »Wie war Dein Kolloquium? Daß es nun so furchtbar aufregend sein soll, daß ein Mann aus Silber Cadmium macht, ist sowohl Kirsten« – Lieblingsdänin – »als auch Sabine, Wibke wie mir unverständlich. Umgekehrt fänden wir es aufregender, aber wir wissen auch gar nicht, was Cadmium ist. Das Beschießen der Atomkerne finde ich auch aufregend. Wann zertrümmert Ihr die Dinger nun eigentlich endlich mal, damit man mit 3 Stück Kohle von hier nach Berlin einen ganz langen Zug betreiben kann?«
An Ursula, Reichsfrauen-Maid in Reifenstein: »So einen Quatsch hat der Kreisleiter erzählt? Bei solchen Gelegenheiten bin ich immer traurig, wenn ich nicht dabei bin, dem würde ich« – was sie würde, steht da nicht. Weiter: »Ja, man sagt kulinarisch! Die Verbesserung Deiner Fehler überlasse ich Vater, dann werden sie bestimmt richtig verbessert, d. h. Sabine könnte es auch. Ward Ihr denn im Theater – kann mir mal jemand sagen wie man ›ward‹ schreibt? Ward Ihr im Theater oder wart Ihr im Theater. Das muß doch mal geklärt werden können!!« An Jochen, im Internat auf Spiekeroog: »Wie schön, daß Ihr solche Feste feiert. Feste sind eine Kunst und bestimmt eine wichtige. Wo sollten wir hin, wenn wir es nicht verstünden, einige Fest- und Feiertage in unseren schweren und grauen Alltag zu streuen, heute ist es wichtiger denn je. Wozu brauchst Du einen Koffer, was soll ich denn da rein tun, Sand? Leer kommt er doch nur zermatscht bei Dir an.«
An den Schwiegersohn in spe Bernhard vor Smolensk: »General Schmidtchen bedauert es sehr, es versäumt zu haben, Dir zu Deiner Schwiegermutter zu gratulieren.« An Mutter Dagmar Podeus, die bei Freunden in Wismar ist: »Du glaubst doch wohl nicht, daß mir Deine Indiskretionen verborgen bleiben! Jeg var virkeligt fornærmed!« – Ich war wirklich ärgerlich. An alle: »So, nun muß ich mich aber doch um das wenn auch noch so einfache Mittagessen kümmern. Wollt Ihr wissen, was es gibt? Spinatsuppe und kalten falschen Hasen mit Milchkartoffeln und Salat dazu. Wibke kommt gerade die Treppe raufgehüpft aus dem Kindergarten: ›Hallo-ho, hach, ich bin ja heute wieder so vergnügt!‹ Dann bin ich es auch! Lebt wohl, geliebte ferne Familie.«
Im fernen Pleskau macht HG jeden Morgen nach dem Frühstück um sieben Uhr einen »Gang durch die Wirtschaft« – durch die Unterkünfte und über den Hof, die Kfz-Halle, Schweinestall, Küche, Männerhaus, Frauenhaus – das sind die Gefängnisse – durch die Funkbuden und Werkstätten: »Jeder meiner Männer weiß, daß er mich bei dieser Gelegenheit ungeniert mit seinen privaten Sorgen und Kümmernissen ansprechen kann, und davon wird auch reichlich Gebrauch gemacht, so daß dieser Frührundgang manchmal mehr als eine Stunde in Anspruch nimmt.« Die Schreibtischarbeit erledigt HG nachts, der Tag ist angefüllt mit Besuchern, viel Lametta aus der Heeresgruppe und den Armeen läuft bei ihm durch,
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