Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)
›Züchtungsversuche‹ begegnen zwar höheren Orts vorläufig noch erheblichem Mißtrauen und skeptischer Duldung, aber ich bin entschlossen, anhand erfolgreicher Beispiele Vorschläge zu machen für gleichgerichtete Versuche in größerem Rahmen.«
»Dieser Saula ist vorläufig klar, daß sie ihr junges Leben – ebenfalls vorläufig – mir verdankt, und reagiert auf meine ›Fremdbestäubung‹ einstweilen offensichtlich positiv. Jetzt sitzt sie jeden Tag und schreibt Aufsätze in Russisch und Deutsch über ihr von mir gestellte Themen: ›Mein erster Eindruck von den faschistischen Aggressoren‹ oder ›wie muß das Deutsche Reich auf den russischen Menschen einwirken‹. Diese Aufsätze werden dann von unserer Prop-Kompanie begutachtet und unter anderem zur Flugblatt-Propaganda verwandt. Daß sie mir nebenbei, nicht ohne erhebliche Gewissensqualen, eine stattliche Anzahl von ihrer roten Dienststelle hierher entsandter Bomben-Attentäter ans Messer lieferte, ist auch immerhin ein Plus für meine Theorie.«
Ich kann nicht sagen, daß mir HG in dieser Rolle gefällt, aber ihm gefällt der Job auch nicht. Else schreibt irgendwo im Kindertagebuch: »Vater hat eine wenig erfreuliche Arbeit bei der Abwehr in Rußland.« Der dritte ist ein sowjetischer Bataillonskommandeur, »sehr straff und ordentlich, 32 Jahre alt, der es fertig gebracht hatte, seinen Kommissar zu erschießen und dann sein ganzes Bataillon geschlossen zu den deutschen Truppen hinüberzuführen. Nach Ablieferung seiner Männer wollte er in eine deutsche Einheit zur Partisanenbekämpfung eintreten. Ich würde Euch gern erzählen, was er mir erzählte, besonders hinsichtlich der Motivation der russischen Soldaten, deren Todesmut daher kommt, daß sie nur wählen können, ob sie von uns oder von ihren eigenen Leuten erschossen werden. Ich habe dann nach Abschluß der offiziellen Vernehmung den Dolmetscher weggeschickt, und wir haben bis in die Morgenstunden zu zweit bei mehreren Flaschen Moselwein viel besprochen, mein Russisch ist inzwischen fast wieder so gut wie früher.«
HG schreibt auch Briefe an »meine liebe demütige Sabine« – das mit der Demut hat sie sich so ausgedacht –, darin schildert er, wie die drei dicken Schweine der Dienststelle Luftsprünge machen, wenn sie an die frische Luft kommen, und daß das Schwein »Budjennij« demnächst geschlachtet werden soll, weil sie alle solchen Appetit auf Wellfleisch haben, und wie gern er ihr etwas abgeben würde: »Hier in dieser Stadt sieht man überall kleine Mädchen und Jungen, nicht größer als Du, mit Schiebkarren rumlaufen, auf denen sie den deutschen Soldaten das schwere Gepäck nachkarren. Sie bekommen für eine Tour 5 Pfennig, und wir nennen sie die ›russischen Taxen‹. Oben haben sie dicke wattierte Jacken an, und unten laufen sie mit zerrissenen Hosen oder Röcken und barfuß. Sie nehmen auch gern Bonbons an und sagen zum Dank ›Geil Gitler!‹, weil die Russen nämlich kein ›H‹ aussprechen können.« Zum Schluß: »Nun lebe wohl, mein vorkleinstes Kind, und behalte noch ein Weilchen lieb Deinen hochmütigen Vater.«
Ein anderer Brief geht in der »geheimen« Kindersprache: »Liehielefibehelefe Sahalefabihilefinehelefe«. Ich kriege das Flattern, wenn ich nur eine Zeile aufschreiben soll, bei ihm ist das eine ganze Schreibmaschinen-Seite – »tauhaulefausendhendlefend liehielefiebehelefe – Grühülefüssehelefe Deinheinlefein Vathatlefaterherlefer«. Auch ein Gedicht bekommt sie:
So wie ein heller Sonnenschein
Alles hier verschönt im Leben
Bist auch Du, mein Töchterlein
In dem Haus der Eltern Dein
Nur als Sonne uns gegeben
Eine Kraft, uns zu erheben.
Kannst Du dieses recht verstehn,
Laß die Sonne immer scheinen
An dem Himmel Deiner Jugend,
Meide Kummer, laß das Weinen,
Richte Deinen Blick nach oben
Ohne Wanken, stark in Tugend;
Trau nicht denen, die Dich loben –
Halt Dich brav! Auf Wiedersehen!
DEIN VATER
Die Anfangsbuchstaben jeder Zeile hat HG liebevoll gemalt, und daß Sabine selig ist, ein wie auch immer geartetes Gedicht aufgereiht an ihrem Namen zu bekommen, ist doch klar. Ein solcher Vater ist der Größte!
Sabine zittert zu Hause, daß Weihnachten ausfallen könnte, weil doch die Hochzeit um die Ecke lauert, aber die Wunderfrau Else schafft beides. Sie hat alle fünf Kinder beisammen, die Schwiegereltern und Dagmar Podeus sind ganz gut zuwege, es wird viel gesungen, obwohl HG nicht dabei ist. Dafür spielt Ursula Klavier,
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