Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)
Dörfer hinter den feindlichen Linien in die Schlacht. Sie werden mit Fallschirmen abgesetzt, sie sickern auf Schleichwegen hinter die Front, für ihren Kampf gibt es keine Regeln, für ihre Bekämpfung nur eine: den Tod. Sie werden gelenkt, organisiert, verheizt, die meisten sind Spielmaterial, einige sind kostbare Spezialisten. Soll ich mich empören, daß HG sie erschießen läßt? Keine Besatzungsarmee der Welt läßt sie gewähren und im Krieg schon gar nicht.
HGs Beförderung zum Major wird gefeiert wie ein Kindergeburtstag. Erwachsene Männer, mit Sternen und Affenschaukeln rausgeputzt, saufen sich die Hucke voll mitten im Krieg und »dann geht das los vom ›Rundgesang‹ über ›Schunkeln‹, deklamatorischen und Zauber-Vorführungen bis zur Hetzjagd über Stühle und Tische und dem Fangballspiel mit Tellern und Gläsern. Über dem Rest der Fête liegt ein nebelhafter Schleier, irgendwie bin ich ganz allein nach Hause gekommen und wußte natürlich die Parole nicht und sollte schon festgenommen werden, was ich aber durch gütlichen Zuspruch an den Posten verhindern konnte. Meine Landser bekamen zur Feier meiner Raupen« – das sind die Dinger für die Achselklappen – »diverse Flaschen Wodka, meine Gefangenen jeder ein Paket des ersehnten Machorka, und so herrscht wohl allgemeine Zufriedenheit«.
Ich könnte die Schilderung von Besäufnissen in Pleskau mühelos fortsetzen, Mutter Gertrud in Halberstadt notiert sorgenvoll ins Tagebuch: »Schon wieder so ein Trunkenheitsbrief von Hans Georg, er war schon früher in Litauen gefährdet, wenn ihm nur nichts passiert deswegen!« Die trinken alle, Bernhard und die Kükenbraut Ursula, wenn sie denn zusammen sind, beginnen das Frühstück mit Cointreau – ausgerechnet! Barbara, keine 20, schildert Cognac-Gelage in München, in der Bar am Bismarckplatz schütten die Front-Urlauber und die Verwundeten mit Ausgang vom Lazarett die harten Sachen wie Wasser in sich hinein. Bernhard erzählt vom Pervitin-Bedarf an der Front, Else lebt davon, ohne Schlafmittel geht gar nichts, wo sie das Zeug wohl immer her hat? Die sind alle krank, aber was soll sein, der Krieg ist krank, das Land ist krank, wieso sollten die Menschen gesund sein.
Diese Lügen dauernd! HG in seinen Briefen: »tiefe Zuversicht«, »kluge Gegenmaßnahmen«, »ruhige Gewißheit«, »großes Vertrauen, weil die Heeresführung weiß, was sie tut«, »sachlich begründeter Optimismus«. Da muß ihm doch das Farbband rausspringen, warum schreibt er das? Um die Familie zu Hause zu beruhigen, um die Zensur zu befriedigen? Warum sagt er nicht einfach nichts? Die Alliierten, jetzt auch die Amerikaner, landen in Marokko und Algerien, Rommel weicht vor dem Großangriff der Briten bei El-Alamein zurück, Stalingrad wird eingeschlossen, an der gesamten Ostfront ist die zweite sowjetische Winter-Offensive in vollem Gange, kaum eine Nacht in Deutschland vergeht ohne schwere Luftangriffe der Briten – alles im November 1942. HG aber ist »beeindruckt von unserem intelligenten Vorgehen«. Dabei weiß er es wirklich besser.
In Halberstadt ist Jochen gemustert worden und »k.v.« geschrieben – »dieses Kind« empört sich Else, er ist 17. Ein halbes Jahr später bekommt er die »Vorsemesterbescheinigung«, ein Äquivalent zu HGs Notabitur im Ersten Weltkrieg, und soll ohne richtigen Schulabschluß an die Front. Elses Sonntagsbriefe flattern wie immer durch ihren Kosmos, dieser hier ist vom 22. November 1942: »Die Woche stand ganz im Zeichen von Afrika und Großmutti«. Wenn Rommel zurückmüsse, weil er keinen Nachschub bekäme, dann sollten die Planer im OKH mal in einem Haushalt in die Lehre gehen: »Ich fange doch auch nicht an zu kochen, wenn ich keine Zutaten habe!!« Neulich hätten sie alle, auch die Kinder, auf der Karte Marsa Matruk gesucht, das liegt an der Mittelmeerküste Ägyptens, links von Alexandria – »dieser Krieg hat doch wenigstens das Gute, daß wir alle Geographie lernen!! Aber Ordshonikidse gibt es nicht, vielleicht ist da gar kein Krieg?« In meinem Atlas gibt es sechs, dieses hier liegt am Kaukasus, und da war heftig Krieg.
Dagmar Podeus sei im Krankenhaus, schreibt Else, weil ihr immer schlecht sei, »aber sie hat nichts! Ich habe ihr gesagt, sie sei hysterisch, daraufhin hat sie sich in meinen Schoß übergeben. Also hat sie doch was, denn bösartig ist sie ja nicht. Bloß was?« Es entpuppt sich als Gehirntumor, die arme Dagmar hat scheußlich gelitten. Bei Else sitzt wieder
Weitere Kostenlose Bücher