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Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Titel: Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wibke Bruhns
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geht für ein Jahr nach Kopenhagen, um kochen zu lernen. Sie genießt die heitere dänische Lebensart, wohnt bei Freunden, geht auf Bälle und »sammelt Verehrer as anner Lüd Brevmarken«, wie ihr Vater nicht ohne Stolz vermerkt. Eine ernsthafte Beschäftigung für ihren brachliegenden Intellekt sucht sie nicht. Wie HG pickt sie hier und da eine Meinung auf, die sie mit großem Charme und noch mehr Selbstbewußtsein unter die Leute streut – »ich hatte nichts gelesen, nichts wirklich gelernt, vermutlich nichts verstanden«, schreibt sie später für ihre Enkelkinder auf. »Aber ich war immer überzeugend.«
    Else beschließt, sie habe genug herumgetrödelt, und es beginnt am 1. Juli 1920 der Job bei Carl Illies & Co in Hamburg. Warum sie den allerdings zum 28. Februar 1921 schon wieder aufgibt, erschließt sich mir nicht, auch nicht, was sie danach macht.
    Else hat später nahezu alle ihre privaten Unterlagen vernichtet, die aus der Zeit stammen, seit sie HG begegnet ist. Ihre Aufzeichnungen setzen erst wieder ein nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Warum sie das tat, darüber kann ich nur spekulieren: Entweder hat sie tabula rasa machen wollen, als HG sie betrog, oder sie wollte ihn schützen vor der Gestapo nach seiner Verhaftung im Juli 1944. Ich tippe auf das Ehezerwürfnis, Else war eine rigorose Person, und was hätten HGs Liebesbriefe aus den 20er Jahren mit seinem Hochverratsprozeß in den 40ern zu tun haben sollen?
    Davon muß es viele gegeben haben. In HGs »Jahr um Jahr«-Tagebuch finde ich fast täglich die Eintragung »an Else geschrieben«, obwohl die sich mehrmals in der Woche sehen. HG ist über beide Ohren verknallt. Das sieht dann so aus: 2. Januar – »Frl. Podeus !!!«, 3. Januar: »Mit Siegfried zusammen Else Podeus abgeholt. Siegfried guckt.« 5. Januar: »Abends Else bei uns, Siegfried, Jürgen, ich, Abendessen. Kolossal nette und erregte Diskussion. Vielliebchen verloren« – das war doch so ein Spiel für Liebespaare mit doppelten Mandeln, oder? – »Brüderschaft mit Else«. 6. Januar: »Mittags mit Else Rosenstraße. Sehr fein! Pläne für Leseabende. An ihrer rechten Seite gegangen.« Was heißt das denn? Das heißt im Benimm-Kodex der Zeit: Respekt, Konvention, höfliche Distanz gegenüber der Dame gehen links von ihr. Rechts geht der Ehemann. Rechts ist das »Besitzzeugnis«.
    Ist HG dreist? Jedenfalls ist er nicht zu bremsen. 8. Januar: »Abends wieder Else bei uns. Ich sie nach Haus gebracht. Meine Stellung« – was ist das denn? – »zu ihr klargelegt. Herrlicher Weg zu zweien. Zuhause noch an Siegfrieds Bett. Erste Äußerung Siegfrieds.« 9. Januar: »Lange nachgedacht. Was tun?! Stellung« – schon wieder! – »Entschluß. Langer Brief an Vater. Siegfried nichts gesagt.« Wie habe ich mir das vorzustellen: Erst wird der Vater gefragt, dann die Auserwählte? 10. Januar: »Mit Else und Siegfried mittags gegessen. Brief an Else, diesen Siegfried zu lesen gegeben. Weise Worte. Was wird?« Erstmal wird jeden Tag ein Stückchen mehr Zweisamkeit geschaffen: mit Else in der Kunsthalle, mit Else im Völkerkunde-Museum, mit Else in der Ausstellung der Wiener Sezession, mit Else und Siegfried in einem Beethoven-Konzert des berühmten Pianisten Edwin Fischer – was eine junge Liebe so bewirkt! Siegfried und HG waren bisher gemeinsam nur im Operettenhaus.
    Am 15. Januar kommt Kurts Antwort. HG: »Er rät ab. Nein?! Muß meinem Wollen vertrauen.« Natürlich rät der Vater ab. Was der Sohn ihm da unterbreitet, ist etwa so gefährlich wie das E.K. 1 an der Westfront. HG ist gerade 22, hat zwar ein im Schnellverfahren erworbenes Lehrzeugnis, aber sonst ist er nichts, kann er nichts, hat er nichts. Aber er will was, nämlich Else. Drei Tage noch kämpft HG einen inneren Dreifronten-Krieg. Mit Kurt: »Ich muß mich freimachen von Vater«, mit sich: »Bin ich reif für den großen Schritt?«, mit Else: »Kann es sein, daß ich mich irre? Soll ich was sagen??« Am 19. Januar sagt er offenbar gar nichts: »Dann habe ich bloß geguckt. Verlobung!«
    In den nächsten Tagen hat Else, so scheint es, erst mal Angst vor der eigenen Courage. Sie igelt sich ein, HG kommt nicht an sie ran, immerzu sind Leute da. HG barmt in sein Tagebuch: »Was ist geschehen?« – »ich möchte so gern mit Else sprechen!« – »sehr schlechter Laune!« – »pfeifender Nachhauseweg«. Das klingt nach ewiger Qual. Doch schon nach einer Woche küßt Else ihren Bräutigam im Empfangsraum der Firma

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