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Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Titel: Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wibke Bruhns
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heut nicht jedermann gefällt.« Es ist wahr: In Sachsen und in Schleswig-Holstein, auch in Hamburg sind wieder die »bolschewistischen Rabauken« unterwegs, in Bayern ist es besonders rabiat, aber mit Katholiken haben die Klamroths sowieso nichts zu tun.
    Nachmittags hält Kurt einen Vortrag darüber, wer mit wem und warum wie verwandt ist, dazu werden Stammbäume herumgereicht, und erst spät in der Nacht ist HG dran. »Lange Aussprache mit Vater. Schwierig. Ich gehe nicht nach England. Von Wismar erzählt.« Und dann, immerhin: »Vater schreibt an Vater P.« Die Herren treffen sich eine Woche später in Berlin, sie mögen sich spontan, Paul schreibt an »min lütt Döchting Elsemaus«, daß er einen »sehr feinen, netten und liebenswürdigen Herrn kennengelernt habe, mit dem ich einen sehr angeregten Abend verbrachte«. In der Sache sind sich beide Väter einig: immer schön langsam! Kurt redet mit Paul über HGs Englandaufenthalt – »mindestens ein Jahr« –, als habe der Sohn seine Ablehnung in den Wind gespuckt. Paul: »Bei allem, was Herr K. vorbrachte, konnte ich ihm nur recht geben. Du siehst, was Deinen Wunsch betrifft, die Verlobung baldmöglichst zu veröffentlichen, sind wir beiden Väter da ganz anderer Meinung.«
    HG ist empört: »Soll Krieg sein?« Wenigstens nach Wismar könnten die Eltern sich bequemen, damit sie wissen, wovon die Rede ist. Kurt ist nicht abgeneigt, Gertrud findet dauernd neue Abhaltungen. Die will die Verlobung nicht, ganz gleich mit wem. HG schäumt: »Scharfer Brief an die Eltern. Entweder mit ihnen oder ohne sie. Else gebe ich nicht her.« Auflehnung, bravo! HG wird erwachsen. Kurt macht sich auf nach Hamburg, um mit dem Sohn zu reden. Das Ergebnis: nicht England. Aber Curaçao. Nicht ein Jahr, sondern vier Monate. Und vorher Wismar. Sofort.
    Sie fahren Pfingsten. Ravelin Horn präsentiert sich in seiner ganzen Schönheit: Pauls Warmherzigkeit, Dagmars Souveränität, Elses Charme, wohlerzogene Geschwister. Abendessen im Smoking, Kopenhagener Porzellan, schweres Silber, intelligente Menschen an der Tafel, Fackeln im Garten. Keiner gibt sich bemüht, alles ist locker und selbstverständlich. Am nächsten Tag Rundgänge durch die Fabriken, Autotouren, Picknick am Wasser, unangestrengt das Ganze. Die jungen Brautleute strahlen, Gertrud erlebt einen völlig neuen Sohn, der in seinem Tagebuch notiert: »Allseitige Begeisterung bei Mutter und Vater Kl. – na also!« Kurt klebt in HGs Archivseiten ein Foto von sich und der neuen Tochter im weißen Kleid mit der Unterschrift: »Wir lernen ›unsere‹ Else kennen«. Die offizielle Verlobung allerdings wird verschoben auf den Herbst 1921, wenn HG zurück sein wird aus Curaçao.
    Bis zu seiner Abreise verbringt er jeden freien Tag in Wismar. Er liebt die Atmosphäre dort, liebt die Schwiegereltern, liebt das Haus – ganz oft schreibt er: »Wie immer in Ravelin Horn – Glück!« Else bewohnt einen kleinen Salon mit Kamin unterm Dach, und niemand findet offenbar etwas dabei, daß die beiden sich abends dorthin zurückziehen. »Wir treiben dänisch« heißt HGs ironischer Tagebuch-Eintrag dazu, in Anführungsstrichen – er lernt zwar schnell Dänisch, aber ob das nun auf Elses Sofa Fortschritte macht, mag bezweifelt werden. »Ist es mir je so gut gegangen?« steht im Tagebuch, »sehr froh und glücklich!«, einmal auf Latein »rideamus« = wir strahlen, einmal englisch »happiness is love«. HG hat Verlobungsringe gekauft und eine clandestine Darreichungs-Zeremonie veranstaltet mit Versen, an denen er zwei Tage gebastelt hat – »Else trägt nun den Ring«.
    Im übrigen ist HG offenbar richtig zuhause in Ravelin Horn. Er ist mit allen per Du und in den großen Kreis der Vettern und Freunde aufgenommen, als sei er schon immer dagewesen. Ich weiß nicht, ob er seine Zahnbürste im Gästebad geparkt hat, aber bestimmt einen Anzug oder zwei, denn bei Podeussens zieht man sich zum Abendessen um. Auch seine Briefmarken-Alben hat er dabei; immer wieder lese ich »Marken sortiert in der Halle«. Das muß zum Schluß eine wertvolle Sammlung gewesen sein, Else erzählte, daß die Gestapo sie ersatzlos mitgenommen hat nach HGs Verhaftung.
    HG bringt Arbeit mit – »Else Post diktiert« kommt mehrfach vor im Tagebuch. Das wundert mich schon: Sie hat zwar Stenographie gelernt in der Handelsschule, aber die von ihr getippten Schriftstücke sehen aus wie Kraut und Rüben. HG, rechtwinklig wie er ist, wird den Mantel der Liebe darüber

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