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Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Titel: Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wibke Bruhns
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mit. Dieser Taubenschlag muß ein warmes Nest gewesen sein durch die große Zärtlichkeit, mit der besonders Vater Paul seine Lieben umgab – Else beschreibt, wie sie und ihre Geschwister nicht an ihm vorbeigehen konnten, ohne daß er sie in den Arm nahm. HG hat diese Zugewandtheit vom ersten Tag an gespürt. »Ravelin Horn: ein Haus voller Herzlichkeit«, schreibt er in sein Tagebuch.
    Paul ist nach 25 Ehejahren immer noch vernarrt in seine Frau. Else hat einige seiner Briefe an Dagmar aufbewahrt, die alle losgehen mit »min egen, kæreste, søde lille kone« in den verschiedensten Variationen: »meine zu mir gehörende, liebste, süße kleine Frau«. Er läßt seine Liebeserklärungen wie Tropfen in die Texte fallen: »Gestern Abendessen mit Kommerzienrat Cramer über Export nach Chile, naar jeg dog bare kunde være hos dig nu, min elskede, jeg længes saa forfærdelig efter dig, er hat die Chancen nicht so gut eingeschätzt.« Der Einschub heißt: »Wenn ich doch jetzt nur bei Dir sein könnte, meine Geliebte, ich sehne mich so schrecklich nach Dir.« Übrigens ist Pauls Handschrift genau so ausladend wie Elses, HG schreibt wie Kurt – was Väter doch wichtig sind.
    Der nächste Tag von HGs Antrittsbesuch in Wismar, Ostersamstag, schnürt ihm den Magen zu, er kann vor Anspannung nicht essen. Man fährt nach Schwerin, guckt die Stadt an, kurvt im Auto um den Schweriner See und nach Möderitz. Die Eltern sind nicht dabei, aber Elses Bruder Heinrich – wenigstens dem muß HG von der Verlobung erzählen. »Else blaß, ich abends erledigt, im Bett, allgemeines Mitgefühl. Wenn sie wüßten!!« Ostersonntag: »Strahlende Sonne, es kommen noch mehr Gäste. Steigende Nervosität, schließlich kurzer Entschluß meinerseits, Vater P. in sein Zimmer gebeten: Antrag, Uff!! Else tanzt unterdessen Fox. Abends alle am Kamin, höchst!!! unangenehme Lage, Schwiegermutter zwischen Else und mir.«
    Ich sehe das vor mir. Keiner läßt die Glocken läuten, die Konversation plätschert, es wird gelacht, die Dänen erzählen den neuesten Klatsch aus Kopenhagen, auf deutsch, damit HG nicht ausgeschlossen ist. Aber keiner SAGT etwas, Paul Podeus nicht, Dagmar Podeus nicht, Bruder Heinrich sowieso nicht, Else natürlich auch nicht. Und da sitzt HG. Auf Kohlen. »Iiih, ich möcht’ nicht ihm sssein« – mit dem Satz hätte Dagmar Podeus schon helfen können. Tut sie nicht. Statt dessen fahren HG und Siegfried Ostermontag zurück nach Hamburg – HG: »Spannung! Spannung! Das waren Tage!« – und nachts macht er sich an den Entwurf für die »schriftliche Bestätigung an P. Podeus«.
    Die nächste Hürde ist drei Wochen später zu nehmen: zweiter Familientag in Halberstadt. Da muß HG hin, Else darf noch nicht, sie stärkt ihn bis dahin während nächtlicher Droschkenfahrten, wenn sie aus dem Theater kommen oder von späten Abendessen. HG hingerissen: »Meine Liebste ist so süß!« Er fährt mit Beklemmung nach Hause, die Kommunikation war frostig in der Zwischenzeit, besonders Gertrud ist spröde. HG: »Sie muß versöhnt werden.« Ist das so, weil Mütter ihre Söhne nicht loslassen können, wie es immer heißt? Ich habe keine Ahnung und keinen Sohn. Da wird schon Eifersucht im Spiel gewesen sein. Das Verhältnis Gertrud-Else blieb über die Jahre höflich verspannt, und als Elses Mutter Dagmar Podeus, diese ulkige sprudelnde Person, später nach Halberstadt zog, empfand Gertrud sie mitunter als Eindringling in ihre aufgeräumte Umgebung.
    HG kommt spät genug, um das Haus schon voll mit Logierbesuch zu finden, was ihm Auseinandersetzungen mit den Eltern erspart. »Benno Nachtigall« hat noch Proben, HGs Vorsänger-Qualität ist gefragt, irgendwann ist es zu spät zum Reden – für diesen Tag jedenfalls sind alle Probleme umschifft. Am nächsten Morgen tagt erst der Familienrat, dann der Familientag – das Protokollbuch, akribisch geführt von Archivar Kurt, verzeichnet vertane Lebenszeit. Da reden sie über Kassenbestände – M 3266.50 –, die Entlastung von Vorstand und Schatzmeister, die Neufestlegung der Jahresbeiträge und so weiter.
    War da nicht im »Grundgesetz« von »Herbeiführen eines engeren Zusammenhalts der Familienmitglieder« die Rede? Das kommt jetzt beim gemeinsamen Mittagessen. 64 Verwandte sind anwesend, kakeln, ratschen, haben sich »ewig nicht gesehen«. Die Bänkeltruppe intoniert: »Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt, obgleich bei Putschgefahr das Reisen wohl

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