Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)
im Nebenzimmer den Schlips umband, ohne den er Madame Nädler, die Hebamme, nicht empfangen kann. Aber Else wird auch nicht gewollt haben, daß er ihr hilft. So eine schmierige, blutige, archaische Angelegenheit wie Kinderkriegen war Frauensache. Männer wurden erst wieder zugelassen, wenn Mutter und Kind gewaschen waren.
Wie das Amen in der Kirche bekommen sie den häuslichen Terror: Barbara ist außer sich über den Eindringling, sie kann noch nicht laufen, aber der kleinen Schwester die Haare ausreißen, das kann sie. Einmal erwischt Else sie, wie Barbara versucht, den Kinderwagen umzustürzen, und sie kreischt und spuckt, als sie daran gehindert wird. Ich kann ein Lied davon singen, meine Töchter sind anderthalb Jahre auseinander. Das ist ein Elend in einer so kleinen Kinderseele, und die Eltern, obwohl Else den »Klaps auf den Po« nicht ausschließt, trösten das Kind auf dem Arm, kuscheln mit Barbara auf dem Sofa, nehmen sie mit ins Bett. Ursula, typisch zweites, nämlich Kuckuckskind, schläft, kräht, verlangt und bekommt alles und kümmert sich nicht um den Aufruhr drum rum.
HG ist vernarrt in die Töchter, er liebt Babys, auch wenn er nicht viel von ihnen sieht. Er verschwindet vor Tau und Tag zum Reiten, frühstückt und duscht – »brausen« hieß das, mit kaltem Wasser –, ist um neun im Kontor, kommt mittags zum Essen nach Hause, schläft ein bißchen und ist dann bis acht, halb neun auf der Woort. Der Sonnabend ist voller Arbeitstag, am Sonntag wird auch geritten und vormittags wenigstens nach der Post gesehen. Abends sind entweder Gäste im Haus, oder das junge Paar ist eingeladen. Nachts quengeln die Kinder, Barbara muß getröstet werden, Ursula bekommt die Flasche vom Kindermädchen, trotzdem – wach sind beide Eltern.
Else macht HG morgens vor dem Reiten einen Tee, dann heult Barbara, Ursula schreit, Kindermädchen eilen, aber Mama ist gefragt. Beide Kinder werden abgefüttert, gebadet, gewickelt, beschmust, Ursula kommt in den Kinderwagen, Barbara will unterhalten sein, zwischendurch wird das Mittagessen besprochen – Else kocht nicht selbst, sie schmeckt ab – Einkaufslisten, Wäschetermine, Putzschemata, bitte alles so, daß es HGs Kreise nicht stört. Mittagessen mit dem Ehemann und Barbara, während seines Schlafs ist Ruhe! im Haus. Else schläft nicht. Nachmittags geht sie mit den Sprößlingen in der Doppelkarre einkaufen. Nachher Vorbereitung für den Abend, Kontrolle des Gäste-Essens in der Küche, Else deckt selbst den Tisch, das macht sie besonders stilvoll. Kinder ins Bett, Barbara jault, Ursula kräht, Kindermädchen sind hilfreich, aber Mama ist gefragt. Umziehen, strahlen – müde? Nicht doch. Der Abend geht bis Mitternacht, unterbrochen von ein- bis zweimal Quaken von Ursula. Und morgen? Here we go again.
Das haben wir doch auch gemacht, ohne Personal und meistens mit einem Job obendrauf, oder? Haben wir nicht. Die hatten keine Staubsauger – Else erzählte, die Teppiche wurden per Hand abgebürstet oder draußen geklopft. Für die Kühlschränke wurden Eis-Stangen geliefert, die Parkettböden mußten abgespänt werden, weil jeder Wassertropfen Flecken hinterließ. Wir haben nicht eingemacht für den Winter, kein Fleisch gepökelt, wenn geschlachtet worden war, nur zum Spaß Marmelade gekocht. Täglich wurde damals eingekauft, Essensreste kamen in Steingutkruken in den Keller, keine Geschirrspülmittel, kein heißes Wasser aus der Leitung, keine Alufolie. Tiefkühler, Geschirrspüler, Waschmaschine und Mikrowelle sowieso nicht. Der Badeofen wurde mit Holz angeheizt, die Messerklingen mit Korken und Scheuersand geputzt, Bett- und Tischwäsche im Topf gekocht, dann gestärkt, auf dem Rasen gebleicht, im Bedarfsfall geflickt, gelegt für die hölzerne Mangel.
Else hat das nicht allein gemacht, natürlich nicht. Zusätzlich zu den beiden Hausmädchen kamen Waschfrauen, Büglerinnen, Hausdiener aus der Woort, die Kohlen in die Heizung schaufelten. Aber Else hat nicht die Hände in den Schoß gelegt, sie war ihre eigene Haushälterin mit Planungs- und Etat-Hoheit, sie mußte veranlassen, kontrollieren, Buch führen, Wäschelisten, Silberlisten, Vorratslisten aufstellen. Mußte sie? Sie war ein Kind ihrer Zeit und hätte keinen Zweifel an ihren häuslichen Management-Qualitäten zugelassen. Sie durfte nicht wie wir tagsüber in Jeans und ungekämmt durchs Haus schlurfen, sie hatte ständig Hausgäste, sie mußte – das mußte sie wirklich – Vorbild sein für das
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