Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)
der jungen Republik allen Ernstes die Zustimmung seines ehemaligen Kaisers in Holland. Thomas Mann hatte gewarnt: »Ich wäre stolz auf die politische Zucht unseres Volkes, wenn es darauf verzichtet, einen Recken der Vorzeit zu seinem Oberhaupt zu wählen« – die Worte verhallen ungehört. Der greise Generalfeldmarschall gewinnt die Wahl, jubelnd begrüßt von den Radio-Hörern in HGs und Elses Domplatz-Wohnung. Sie beklatschen den Sieg des Vergangenen, verklären die früheren Zeiten, als »alles besser war« und die Nöte der chaotischen Demokratie sie noch nicht beutelten. Daß Hindenburg für den Krieg steht, macht seinen Mythos aus, daß der Krieg verloren ging, mag ihm niemand anlasten. Das lag am Dolchstoß der Heimatfront. Nur Kurt weiß es besser. HG: »Vater skeptisch«.
Großvater Kurt
A CHT
F AMILIENTAG IST 1925 AUCH WIEDER , diesmal in Berlin-Grunewald im Haus des Bankiers Walter Klamroth. Das ist ein Vetter von Kurt, Jurist und Schatzmeister des Verbandes, und ich erinnere mich, daß die Schmisse in seinem Gesicht mich genauso faszinierten wie die Behauptung, man habe sich dergleichen freiwillig dort hineinsäbeln lassen – Onkel Walter war im Korps »Hansea«. Er trug einen Kneifer, und ich hoffte als Kind vergeblich, der werde ihm einmal von der Nase fallen. HG und seine Frau sind erstmals gemeinsam auf einem Familientag, 1923 war die schwangere Else tapfer allein dabei, HG saß in Bochum fest, 1924 fand kein Familientag statt, aber da war Else auch schwanger gewesen, und diesmal ist es wieder so – HG: »Ich habe ihr das schönste Kleid für den nächsten Familientag versprochen.« 46 Familianten sind gekommen, die Sippe fährt mit drei Motorbooten »und viel Wein« erst zur Pfaueninsel, dann nach Sakrow und Sanssouci.
Kurt, der Archivar, legt ihnen den »soziologischen Stammbaum« vor und referiert über »den sozialen Aufstieg in den Geschlechterfolgen des Geschlechts Klamroth« – vom Bauern zum Rittergutsbesitzer, vom Arbeitsmann zum Fabrikanten, Dorfschullehrer – Pfarrer – Privatgelehrter, einst Schreiber, heute Oberregierungsrat. Er erzählt, wie die »Blutzufuhr« der Ehefrauen dem Auftrieb der Familie genützt hat, die Aufgestiegenen holen sich ihre Frauen schließlich nicht mehr aus den Nachbardörfern. Da ist von Blut aus Hannover und Blut aus Hessen die Rede, aus Franken, nur protestantisches Blut übrigens. Elses Blut wird lobend erwähnt – nicht nur Mecklenburg, sondern auch Dänemark! Dann sitzen sie in Pschorrs Bierkeller, 46 vergnügte Klamroths, durch Blut und Boden geadelt, zehn Jahre später werden sie singen: »Von den Vätern her hab ich das Klamroth-Blut – der Tropfen Blut ist gut – schrumm schrumm. Es bringe der Familientag ein volles Glas dem alten Schlag, blüh weiter, edles Blut!«
Da haben sie dann ihre Unschuld verloren. Sie finden das zwar immer noch lustig – schrumm schrumm –, aber sie liegen mit ihrem Blut im Trend. Doch jetzt, 1925? Die Klamroths waren nicht »völkisch«, der Eifer war ihnen fremd. Sie waren keine Antisemiten, jedenfalls nicht mehr als damals üblich und dem gesellschaftlichen Anstand angemessen. Juden waren nicht ihr Thema. Noch nicht. National waren sie in der Tat. Das schloß den Wunsch nach Verständigung mit anderen Nationen nicht aus, ihre Klassenzugehörigkeit trug die Klamroths sicher über Grenzen. Sie waren nett, rechtschaffen, in Maßen liberal und stolz nicht auf das »Blut«, sondern auf die Leistung der Vorfahren, die ihnen Verpflichtung bedeutete. Sie pflegten ihre familiäre Gemeinsamkeit, und das hieß dann eben »Blut«.
Else paßt da gut rein. Sie ist selber ein Familientier, und die vielen Dänen und Mecklenburger, die sie anschleppt und die mit Spottlust und Schlagfertigkeit die Förmlichkeit der Bismarckplatz-Diele aufmischen, begeistern Kurt und HGs Geschwister jedes Mal. Gertrud hält tapfer mit – »Humor hatte die nicht!«, seufzt Else noch Jahrzehnte später. Sie verstört gelegentlich eine Abend-Gesellschaft, wenn sie »rote« Gedanken äußert, etwa daß ohne Gewerkschaften die Arbeiter Freiwild wären – HG: »Else war wieder der Sozenschreck!« Gewählt hat sie aber bürgerlich, natürlich. Gregers Hovmand, ein jüngerer Vetter Elses aus dem dänischen Bandholm, den ich zärtlich geliebt habe, schüttete sich bis zu seinem Tod vor ein paar Jahren immer noch aus vor Lachen, wenn er von Elses Auftritten erzählte: »Du glaubst nicht, wie frech sie war! Sie hat jeden aufgezogen. Sie
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