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Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Titel: Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wibke Bruhns
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Personal und später die Kinder. Und wenn sie sich gehen lassen wollte, gab es nur einen Ausweg. »Else unwohl«, steht häufiger in HGs Tagebuch. Sie ging ins Bett.
    Zwischendurch fliehen sie – nach Dänemark, nach Wismar, nach Schleibitz, wo Wolf Yorck den Freund zu den »Deutschnationalen« bekehren will. HG widersteht, obwohl er Wolf für politisch kompetent hält. Sie geben die Kinder ab am Bismarckplatz oder in Ravelin Horn, beide Töchter überstehen die Reisen warm eingepackt in Wäschekörben auf dem Boden des offenen Steyr-Wagens. Die Großeltern sind glücklich, das mitreisende Kindermädchen auch, und HG schreibt – schiere Freude – ins Tagebuch: »Endlich allein mit meiner süßen Frau.«
    Für ihn ist das meistens ein kurzes Vergnügen, weil er zurückmuß in die Firma, aber im Januar 1925, zum vierten Jahrestag ihrer Verlobung, fahren sie mit einem Umweg über das wieder tief verschneite Kloster Chorin – »Erinnerungen, Erinnerungen!« – nach Österreich zum Skifahren. Gemeinsame drei Wochen, nur zu zweit. Nach dem geruhsamen Langlauf im Harz scheitern sie hier an den steilen Hängen. HG: »Else wird so wütend, wenn sie hinfällt. Sie fällt immerzu hin, ist immerzu wütend. Und sie lacht sich halbtot.« Ein Skilehrer schafft Abhilfe. HG an Theo Delbrück: »Du kannst Dir vorstellen, wie wir genießen, was Else jetzt zwei volle Jahre lang entbehrt hat – Theater, Reisen, Gäste, Sport. Wir haben zwei wonnige Kinder, aber jetzt haben wir endlich auch wieder uns.«
    Vier Wochen später steht in HGs Tagebuch: »Jeg ved ikke om grine eller græde« – ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Else ist wieder schwanger. Großer Gott, was ist die Frau fruchtbar! Wie verzweifelt sie ist, kann ich nicht beurteilen. Ihre Aufzeichnungen sind weg. Glücklich ist sie sicher nicht, auch HG nicht, obwohl er kein Wort darüber verliert. Denn nicht nur Else hat entbehrt, was man so unter Leben versteht, er schließlich auch. So zugewandt wie früher wird sie in diesen Zeiten nicht gewesen sein, schwanger ist jede Frau auf sich und das, was sie zu tun hat, eingestellt. Sie hat, wie ich heute weiß, zweimal abgetrieben. Das war 1927. Warum später nicht? Ihre beiden jüngsten Kinder hat sie sich nicht gewünscht. Ich vermute, der Arzt, der ihr damals geholfen hatte, war nicht mehr in Halberstadt. Er war Jude.
    Doch jetzt ist an einen Schwangerschaftsabbruch sowieso nicht zu denken. Else weiß, daß sie nochmals gefordert ist: Der Sohn muß her, der Erbe. Sie ist so darauf fixiert, daß sie in Ursulas Kindertagebuch im Jahr 1925 ständig von dem »Brüderchen« spricht. Ich möchte mir nicht ausmalen, wie alle Beteiligten mit der Enttäuschung über ein drittes Mädchen umgegangen wären, einschließlich des dritten Mädchens. Aber sie bekommen tatsächlich den Sohn, da hat der liebe Gott seine Hand drüber gehalten.
    Doch so weit sind wir noch nicht. Erst schaffen die sich ein Radio an, und zusätzlich zu den vielen Gästen, die sowieso schon immer da sind, kommen jetzt die Rundfunkhörer ins Haus – das ist eine kollektive Veranstaltung ähnlich wie in den 50er Jahren, als noch keineswegs jeder ein Fernsehgerät besaß. Die Radiogebühr beträgt 24 Mark im Jahr, Anfang 1924 gibt es für die angebliche »Modetorheit« 1500 zahlende Hörer im Reich, im Januar 1925 sind es schon mehr als eine Million.
    Im Radio hören sie vom Tod des Reichspräsidenten Friedrich Ebert am 28. Februar 1925, kurz vor Beendigung seiner Amtszeit. Der Mann ist erst 54 Jahre alt und stirbt an einer Blinddarm-Entzündung, die er verschleppt hatte, weil er wieder einmal das Ende eines Prozesses abwarten wollte, in dem es um die Beleidigung des Staatsoberhauptes ging. Buchstäblich zu Tode gehetzt worden ist er in mehr als 150 Gerichtsverfahren, der »Novemberverbrecher«, der »Dolchstoß-Verantwortliche«, in Wahrheit der Repräsentant der verhaßten Republik. Nicht nur die völkische und deutschnationale Rechte mitsamt den Nationalsozialisten geifern hinter dem toten Ebert her. Die Kommunisten schicken ihn mit dem »Fluch des deutschen Proletariats ins Grab«, auch in der SPD hatte es Anträge auf Parteiausschluß gegen ihn gegeben, und von seiner eigenen Gewerkschaft, dem Sattlerverband, war Ebert tatsächlich vor die Tür gesetzt worden.
    Der Nachfolger ist Paul von Hindenburg, der »Sieger von Tannenberg« und überzeugter Monarchist. 77 Jahre ist er alt, und er holt sich vor seiner Kandidatur für das höchste Amt

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