Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)
war so schnell mit ihrem Witz, und ihre arme Schwiegermutter hat immer erst verstanden, daß sie was verpaßt hat, wenn alle lachten.« Und HG? »Der war genauso begeistert wie wir.«
Sie fahren noch mal nach Wismar im Sommer, bevor das dritte Kind geboren wird. Paul Podeus geht es nicht gut, er hat Angina pectoris und scheußliche Anfälle. Else meint, der Streß wegen des verlorenen Vermögens sei der Grund. Ich habe in den Unterlagen nichts finden können, das erklärt, warum das Geld plötzlich weg ist, auch in Wismarer Chroniken nicht. Vermutlich kam Paul in Schwierigkeiten wegen des Versailler Vertrags, es gab massive Ausfuhrbeschränkungen für bestimmte Waren. Jedenfalls spielten seine Banken nicht mehr mit, wegen fehlender Liquidität hat Paul dann verkauft zu einer Zeit, als der Geldwert wie Butter in der Sonne schmolz. Auch von Ravelin Horn müssen Paul und Dagmar sich deshalb trennen, aber das ist nicht so einfach in diesen rauhen Zeiten, niemand hat das Geld für so ein Schloß. Trotzdem ist die Atmosphäre im Haus ungebrochen, HG bewundernd im Tagebuch: »So viel Wärme, so viel Lachen, die Sorgen kommen nicht vor.«
Die Töchter und ein Kindermädchen bleiben zum Entzücken der Großeltern in Wismar, während HG und Else zwei Wochen in Bandholm Ferien machen. Das ist sein zweiter Besuch in der Wahlheimat, und die Zuneigung zwischen den Dänen und HG ist wechselseitig – Gregers erzählte, HG habe mit einem Stoßseufzer bei einem Abendessen verkündet: »Hvis jeg ikke var prøjser, saa ville jeg gerne være dansk« – wenn ich nicht Preuße wäre, dann wäre ich gern Däne. »Doch, den hätten wir genommen«, sagte Elses wunderbarer Vetter noch ein halbes Jahrhundert später. HG verliebt sich in die dänische Küche – Leberpastete mit süßem Gurkensalat, die kroß gerösteten Zwiebeln, zig Sorten eingelegte Heringe, rote Grütze mit Sahne – »rødgrød med fløde«, der Zungenbrecher für jeden, der Dänisch lernt. Die handgeschriebenen Kochbücher von Dagmar Podeus und Else sind dicke Wälzer mit vielen Flecken, durchgestrichen, drüber geschrieben – ich muß aufpassen, daß ich mich nicht festlese. HG fliegt zurück nach Berlin. Das erste Mal im Flugzeug, knapp vier Stunden von Kopenhagen nach Tempelhof. Er ist beeindruckt.
Der Sohn kommt am 17. Oktober 1925, Sonnabend nacht um zehn Minuten nach eins. Wieder hat Else eine Rekordgeburt von einer knappen Stunde zustande gebracht, aber diesmal ist die Hebamme schon seit abends um neun im Haus. »Gottseidank!« notiert HG und »Ein Junge!!! Sehr glücklich!« Nachts um halb drei noch greift er zum Kindertagebuch. Da ist die Rede von dieser rauhen Welt, an die der Sohn sich jetzt gerade gewöhne, und daß »Mutter und Vater versuchen wollen, sie Dir so schön wie möglich zu machen, und hoffen dabei auf Gottes Hilfe, der uns allen so gnädig beigestanden hat in dieser schweren Stunde. Ihm sei Ehre, Preis und Dank!«
Ich stelle mir vor, daß Else jetzt die Steine zählt, die ihr vom Herzen fallen. Sie hat abgeliefert, was dynastisch verlangt war. Sie wird wie alle Frauen in dieser Zeit geglaubt haben, daß es ihr Versagen wäre, wenn sie »nur« Mädchen hinkriegte. Was für ein Streß, und was für ein verqueres Denken bei einer so selbstbewußten Frau! Aber das war eben so, Söhne mußten es sein – selbst viel später wäre niemand auf den Gedanken gekommen, sich etwa die hochbegabte Tochter Barbara für den Job als Firmenchefin vorzustellen.
Nicht um das Wunder Leben geht es diesmal, jetzt ist Triumph angesagt: ein Sohn, ein SOHN, DER SOHN! Beide Großeltern sind ganz aus dem Häuschen, Dagmar am Telefon in Wismar erst mal ungläubig: »Du beswindelst mir!« Am nächsten Morgen, Sonntag, sind alle Klamroths einschließlich Personal zum Dankgottesdienst in der Liebfrauenkirche versammelt, und HG schreibt ins Kindertagebuch: »Mein Herz war übervoll von Dank gegen den gnädigen Allvater, der mein Leben jetzt wieder so deutlich gesegnet hat durch Dich, mein lieber Junge. Will er mir dadurch wirklich sagen, daß ihm mein Wollen in diesen letzten Jahren wohlgefallen hat? Es gibt Augenblicke, wo der Mensch seinem Gott unmittelbar gegenüberstehen darf und seine Größe, Allmacht und Güte in aller Stärke empfindet; ich habe jetzt wieder einen solchen Augenblick erlebt.«
Der spinnt. Und Else auch. Sie schreibt ins neue Kindertagebuch: »Die Stunde Deiner Geburt gehört mit zu den schönsten und glücklichsten meines Lebens.« Wie muß
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