Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)
Pächter, Hundejunge«, das kenne ich noch, irgendwas mit Karten war das. Und »Nümmerchen«, eine Art Zank-Patience mit Zahlen: »Nümmerchen spielt jedermann, vorausgesetzt, daß er das kann«, stand in der Gebrauchsanweisung, und Dagmar Podeus beendete die Partie jedes Mal siegreich mit »zweimal gessogen und einmal gessummelt«. Else entdeckt ihre spätere Leidenschaft, das Puzzeln – wie viele Puzzle-Spiele ich geschenkt gekriegt habe, damit sie ihren Spaß hatte. Und dann gab es die Novität für Deutschland: »Mah-Jongg« oder »chinesisches Domino«.
Noch ist nicht eitel Sonnenschein im Land, auch nicht in Halberstadt. Aber die Silberstreifen mehren sich: Der militärische Ausnahmezustand wird im Februar 1924 aufgehoben und im Laufe des Jahres entsteht der Dawes-Plan. Der heißt so nach dem amerikanischen Bankier Charles G. Dawes, dessen Expertenkommission nun endlich die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft in Relation zu den Reparationen setzt. Die Franzosen räumen Teile des Ruhrgebiets – endgültig abgeschlossen ist der französische Rückzug erst im Herbst 1925.
Das beruhigt die politische Situation, nicht aber die »Völkischen« aller Schattierungen. Hitlers zeitweise verbotene NSDAP wird unter anderem Namen und gleichen Vorzeichen von Alfred Rosenberg und Erich Ludendorff ersetzt, bei der Reichstagswahl im Mai 1924 werden die »Deutschnationalen« zur stärksten Partei im rechten Lager, mit 96 Mandaten nur noch vier Sitze hinter den erbärmlich geschrumpften Sozialdemokraten. HG findet alles in Ordnung, »was die Sozis schwächt«, er und Else haben die »Deutsche Volkspartei« gewählt, Stresemanns (und Kurts) politische Heimat, die ebenfalls stark verloren hat. Daß über ein Viertel der deutschen Wähler sich für die republik-feindliche Rechte entschieden hat, ist wenigstens für Kurt ein Alarmsignal. HG im Tagebuch: »Vater besorgt über die Schwäche der Demokratie«.
Die Halberstädter haben nicht wirklich den Kopf frei für die Belange des Reiches. Sie merken beglückt, so HG an den Freund Theo Delbrück in Amsterdam, »daß es langsam, aber stetig aufwärts geht, wenn wir weiter so hart arbeiten wie bisher«. Bei I. G. Klamroth belebt sich das Geschäft, »die Frühjahrsaufträge häufen sich, wir wissen bald nicht mehr wie fertig werden«. Das Ergebnis ist ein neuer Steyr-Wagen, das muß ein Mordsding gewesen sein, natürlich offen, und ein kleiner Opel, mit dem HG gern ohne Chauffeur durch die Gegend flitzt. Kurt hingegen kommt nach wie vor mit dem Fahrrad ins Kontor. »Er war immer um sieben Uhr früh da«, berichtete mir eine alte Dame, die auf der Woort als Kind von Hausverwaltern groß geworden ist. »Der junge Herr erschien zwei Stunden später mit dem Sportwagen!«
Auch neue Pferde werden angeschafft. »Nelly« und »Lord« haben sich grußlos aus den Unterlagen verabschiedet, statt dessen gibt es »Minnesieg« und »Ebony«, ein rabenschwarzer Trakehner Wallach, den der »reiche Onkel aus Amerika« Ernst Hothorn HG geschenkt hat. Jedenfalls reitet HG jetzt beinahe täglich morgens um halb sieben mit Vater Kurt oder dem alten Kutscher Hermann Kückelmann – möchten wir uns vorstellen, was das mit der Zweisamkeit macht? Die letzten morgendlichen Schmuse-Minuten gekippt, nicht weil das Kind unruhig wird, sondern ein Pferd? Wenn schon, dann wäre Else gern mit geritten. Kann sie nicht wegen der Schwangerschaft. HG schreibt: »Sie mault tapfer.« Wer will es ihr verdenken: Bei einem Kind nach dem anderen ist die Figur hin, fast zwei Jahre paßt Else schon nicht mehr in ihre Klamotten, wenn sie sich bückt, bekommt sie Sodbrennen, und sie ist hundemüde. Das Winzkind Barbara hängt ihr am Rockschoß, als ob es begriffe, daß dies die letzte Möglichkeit ist, die Mutter exklusiv zu haben. Aber was tut man nicht alles für den Sohn, den Stammhalter, den Erben, den sechsten I. G. K.
Ursula wird am 17. Juli 1924 geboren und zwar in einer Dreiviertelstunde. Die Hebamme schafft es nicht rechtzeitig ins Haus, und nirgendwo steht, ob und wie HG Else geholfen hat, das Baby auf die Welt zu bringen. Hat er ihr die Knie hochgedrückt und ihren Kopf gestützt, hat er das Kind aus ihr herausgezogen, hat er aufgepaßt, daß die Nabelschnur es nicht erdrosselt? Hätte er, dann stünde das in seinem Tagebuch. Es steht da auch nicht, ob eins der beiden Hausmädchen assistiert hat. Wahrscheinlich nicht, das wäre zu privat. Else wird allein damit fertig geworden sein, während HG sich
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