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Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Titel: Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wibke Bruhns
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Vereinsnachrichten und Kriegsanekdoten, es geht um Wilhelm I. und Bismarck, die Schlacht bei Trautenau 1866, wo das Regiment eine ruhmreiche Rolle gespielt hat, auch um die Weltkriegs-Kämpfe im Baltikum und den »heldenhaften Rückzug aus der Ukraine«.
    Alles in dem Blatt sehnt sich nach der »stolzen« Vergangenheit. »Ein Hauch des Geistes von 1914 weht durch die Massen«, wenn irgendwelche Standarten irgendwohin überführt werden und ein Soldatenchor von 360 Mann »Altpreußen deutsch« intoniert. Ich kann HG nicht folgen. Will ich auch nicht. Ich weiß doch, wohin das führt. HG weiß das nicht, damals. Ich spüre sein Bedürfnis nach Gleichschritt, Fahnen und klingendem Spiel, allerdings hat sich das vor einer Kompanie abzuspielen, nicht wahr? Die »Männer« sind die Dekoration, lebende Kulisse für den eigenen Status, so wie die Rubriken in der Regimentszeitung sorgfältig getrennt sind nach Offizieren, Unteroffizieren und Mannschaften. Wenn es nicht so gefährlich wäre, wäre es lächerlich.
    Bei der Regimentszeitung, deren Geschäftsstelle HG im Firmensitz an der Woort angesiedelt hat, meldet sich im April 1926 Franz Vitt. Nicht der Schütze Vitt, natürlich nicht, sondern ein Verwandter gleichen Namens. Der Vater des Toten sei gestorben, schreibt er, die Kriegseltern-Versorgung sei ihm damals bewilligt worden, und die Mutter habe folglich jetzt eine kleine Rente. Es gehe ihr gut, aber die Erinnerung an Franz Vitt sei immer lebendig, und nun sei sein Tod ja acht Jahre her. HG bekommt Magenkrämpfe und geht »mit großer Übelkeit« nach Hause, »große Dunkelheit überall«. Soll er Geld schicken, was soll er antworten? Gar nichts, sagt Else, sagt auch Kurt – »Vater meint, das hört nie auf! Aber muß ich nicht?« Kurt schreibt zurück an Franz Vitt, der Brief ist nicht erhalten. HG ist tagelang krank – »es ist alles wie gestern«. Er sucht Frieden in einem langen Harzritt, er fällt vom Pferd, »Ebony« zertrümmert ihm das Schlüsselbein.
    Der Wallach wird verkauft, HG kann ihn nicht mehr sehen. Der unermüdliche Ernst Hothorn – ich weiß immer noch nicht, wer das ist – sorgt für Ersatz und schenkt HG die »Indianerin«. Warum tut er das, und was tut HG dafür? Auch Else reitet wieder, und wie bei allen Sportarten tut sie sich schwer. Sie fällt dauernd vom Pferd, und ihre Freundin Cläreliese, die in ihren Erinnerungen liebevoll mit Else umgeht, ist beeindruckt von deren Zähigkeit: »Ich habe selten jemand gesehen, der so miserabel Ski fährt, so schlecht reitet, so chaotisch Tennis spielt – aber sie war nicht zu bremsen. Sie hat alle Jagden mitgeritten, und wir haben manchmal um ihr Leben gebangt.«
    Jagden zu reiten ist das neue Spiel im kommenden Herbst. Ich habe für 1927 elf gezählt, das bleibt in den nächsten Jahren ähnlich, Voraussetzung sind die Stoppelfelder. HG, sehr guter Reiter, sehr schnelles Pferd, macht oft den Fuchs, für Schleppjagden wird die Meute ausgeliehen, und die Gutsherren rund um Halberstadt überbieten sich im Ausgucken schwieriger Strecken. Kurt übrigens, inzwischen fast 60, hält bei dem erheblichen Tempo tapfer mit. Das ist ein festliches Bild, so viele Reiter in roten Röcken, die Damen in Schwarz, Jagdhörner, Flachmänner, Riesenspaß – Reitjagden sind ein Vorwand, sich schick anzuziehen und heftig zu saufen.
    Richtig jagen, ich meine schießen, tut Else nicht. Sie begleitet HG, wenn der etwa zu den Yorcks in Schleibitz fährt, wo sich vom König von Sachsen abwärts ostelbischer Hochadel versammelt. Der Exkönig läuft immer noch unter »Seine Majestät«. Zum Abendessen trägt man Frack, und das ist auch bei den Jagdessen in Halberstadt so. Riesenstrecken werden erlegt – 700 oder 800 Hasen, wer soll die denn alle essen? HG hat eine Jagd gepachtet, in Elses »Gesellschaftsbuch« finde ich ihr erstes Jagdfrühstück kurz vor Weihnachen 1927: »25 Schützen, 18 Treiber. 280 Hasen, 1 Fuchs. Bohnensuppe von 10 Pfund Pökelknochen, 5 Pfund Pökelfleisch (zu viel), 15 Pfund Bohnen (12 sind genug), 6 Sellerie und 12 Porree und 25 Paar Würstchen. 100 Scheiben Brot (viel zu viel, die Hälfte ist reichlich) mit Mettwurst, Leberwurst, Sülze, Ei, Sardellen, falschem Hasen, Quark, Tomate, Käse. Punsch von 8 Flaschen Rotwein, 6 Flaschen Tee, 1 Flasche Arrak, gerade gereicht«.
    Da sage noch einer, Else sei nicht systematisch. Sie hält alles fest – Riesenparties mit 60 und mehr Gästen am Bismarckplatz und kleine feine Diners im Smoking. Sie

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