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Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Titel: Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Kloeble
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schloss die Augen. Das Gewicht auf der Matratze verlagerte sich, eine von beiden stand auf, während sich die andere auf mich setzte. Sie biss mir in den Nacken; erst stach es, dann wurde es warm. Ich berührte meinen Hals, öffnete die Augen, sah Blut. In der Rechten hielt sie ein Klappmesser. Sie holte aus und rief etwas auf Französisch. Ich wollte ihren Arm packen, aber sie war schneller. Im letzten Moment drehte ich mich zur Seite und sie hieb mir in den Rücken. Ein Schmerz, der mir alle Luft nahm, drang in mich ein. Ich bekam ihre Hand mit dem Messer zu fassen, hielt sie
mit beiden Händen fest. Sie stemmte sich hinter die Klinge. Die Badezimmertür sprang auf   – die andere Französin, die Brünette. Hinter ihr, am Boden des Badezimmers, lagen meine Kleider und meine Tasche, die sie durchwühlt hatte. Das Gold hatte ich glücklicherweise nicht bei mir; ich bewahrte es im Lazarett auf und nahm es nie mit in die Stadt. Anstatt ihrer Komplizin zu helfen, schnappte sich die Brünette ihre Sachen und rannte aus dem Zimmer. Das irritierte die Schwarzhaarige kurz, sodass ich sie von mir werfen konnte und das Messer aus ihrer Hand fiel. Sofort lächelte sie, gluckste, schlang ihre Beine um mich und griff nach meinem Glied. Als wäre das alles bloß Vorspiel gewesen. Blut tropfte von meinem Hals auf ihre Wange. Ich löste mich von ihr, wollte das Messer aufheben. Meine Beine gaben nach, und ich fiel zu Boden. Das Messer lag direkt vor mir, ich griff danach, umklammerte es. Die Französin sprang aus dem Bett, schlüpfte in ihr Kleid; ich konnte nur ihre schlanken Füße sehen. Binnen Sekunden hatte sie das Zimmer verlassen. Ich konzentrierte mich darauf, ruhig zu atmen, zog das Bettlaken zu mir und presste es gegen meinen Hals, robbte mich zu dem Stuhl, auf dem meine Kleidung lag, warf ihn um. Während ich am Boden versuchte, in meine Hose zu schlüpfen, spürte ich die Ohnmacht wachsen. Mir wurde kalt. Ich ließ die Hose liegen und kroch nackt zur offenstehenden Tür, das sich rot färbende Bettlaken um meinen Hals gewickelt. Aus der Wunde in meinem Rücken floss Blut, ich zog eine Spur hinter mir her. Meine Müdigkeit wuchs. Um Kraft zu sammeln, schloss ich die Augen.
    Ich wachte auf, und meine Hände waren taub und steif. Ich wusste nicht, wie lange ich geschlafen hatte. Meine Beine ließen sich nicht bewegen. Die Treppe zum Erdgeschoss war
steil. Ich ließ den Kopf auf den kühlen Boden sinken und dachte an Anni.
    Wenigstens würde sie annehmen, ich sei im Krieg gefallen.

Zwei Möglichkeiten
     
    Ich hatte nie an Gott geglaubt. Ich war immer der Überzeugung gewesen, dass ich ihn nicht brauchte, dass ich mein Leben führen konnte, ohne es nach jemandem auszurichten, für dessen Existenz es keine handfesten Beweise gab. Aber nachdem ich knapp dem Tod in einem Pariser Schlafzimmer entgangen war, begann ich zu beten. Nicht aus Dankbarkeit. Ich faltete weder die Hände, noch begab ich mich in eine Kirche oder redete mit einem Pfarrer; ich schickte Gott einfach meine Gedanken, willkürliche und nicht immer freundliche Gedanken.
    Die Ärzte hatten mir mitgeteilt, dass ich aufgrund der Wirbelsäulenverletzung nie wieder würde gehen können. Was war das für ein Gott, der, kurz bevor ich friedlich eingeschlafen wäre, gerade noch rechtzeitig eine Frau ins Treppenhaus geschickt hatte, deren hysterische Schreie eine in der Nähe stationierte Militärwache alarmiert hatten, nur damit ich mit halbem Körper weiterlebte? Gott hätte mich dort liegen lassen können. Stattdessen schickte er mich, wie ich später meiner Krankenakte entnahm, auf eine Reise durch Lazarette und Krankenhäuser, an die ich keine Erinnerung habe, außer dem scharfen Geruch von Desinfektionsmitteln und dem Gestank faulender Haut.
     
    Damals verloren viele Menschen ihren Glauben, weil ihnen Schreckliches widerfuhr. Aus dem gleichen Grund fand ich meinen. Gott musste existieren. Er liebte nicht und war auch nicht gerecht, sondern ein schadenfroher Wissenschaftler. Und die Menschheit war sein Experiment. Er raubte mir bei einem sexuellen Akt die Fähigkeit zu gehen, ließ mich wochenlang wünschen, ich sei tot, und bewies Ironie, indem er   – als mir eine Krankenschwester mit azurblauen Augen zum ersten Mal in einen Rollstuhl half   – meinem Unterleib unübersehbares Leben einhauchte.
    Ich hätte mich freuen, ich hätte erleichtert sein können, aber stattdessen entschuldigte ich mich bei der Krankenschwester. Worauf sie meinte, ich brauche mich

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