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Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Titel: Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Kloeble
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funkelten sie manchmal; mein Mund war etwas zu schmal, dafür meine Nase etwas zu breit und die Ohren standen gerade so weit ab, dass man darüber lächeln konnte, ohne darüber zu lachen.
    Dass ich Annis Bruder war, hätte selbst einem scharfen Beobachter entgehen können; unsere Unterschiede waren hervorstechender als die Gemeinsamkeiten. Annis Haut war so weiß wie ich nur an Stellen meines Körpers, die nie dem Licht ausgesetzt wurden. Die Locken ihres Haarschopfs, der erst bei den Ellbogen endete, wirkten widerspenstig, und mit ihrem Scheitel reichte sie gerade einmal bis an mein Kinn. Ihr Mund war auf halber Strecke zum Ohrläppchen von Grübchen eingeklammert, die sich auch hartnäckig hielten, wenn Anni nicht grinste oder lächelte, und der Anblick ihrer Lippen rief mir oft die Worte des Schusters Gaiger ins Gedächtnis, der neben Fußbekleidung auch bemerkenswert stabile Angelrouten herstellte: »Rund wie beim Fisch.«
    Jeder in Segendorf, abgesehen von den Klöbles, hatte eine genaue Vorstellung davon, wer Annis und mein Vater war, doch unsere Eltern scherten sich nicht darum, dass sie in der Wirtschaft stets als Letzte bedient wurden oder die magerste Wurst in der Metzgerei bekamen. Und das aus zwei guten Gründen: Weder Anni noch ich waren Klöbles.
     
    So wuchsen wir mit dem Argwohn und der Bösartigkeit von Altersgenossen heran, deren Eltern ihnen groteske, aber im Kern wahre Geschichten über Jasfe und Josfer eingetrichtert hatten. Als wir noch in der Krippe lagen, kniff man uns, wenn unsere Eltern gerade nicht hinsahen, in den Bauch; als wir unsere ersten Schritte wagten, stellte man uns ein Bein
oder stieß uns in den Dreck; als wir lernten, wie man Dirndl schnürt oder Hemden zuknöpft, erstickten die spöttischen, misstrauischen Blicke fremder Mütter, die von ihren Zöglingen nachgeahmt wurden, jede Hoffnung auf eine einzige Runde Fangamandl im Keim; und als wir ein Alter erreichten, in dem wir erröteten, wenn jemand uns beim Baden im Moorbach sah, klaute man uns die Unterwäsche. Es dauerte nicht lange, bis wir uns mit unserem Schicksal abfanden, zu zweit die Felsklippe erkundeten und nach Gold suchten, zu zweit um die Wette zur Eiche auf dem Wolfshügel liefen oder zu zweit Wer-füllt-den-Becher-zuerst-mit-Spucke spielten.
     
    Aber manchmal war ich doch allein.
    An einem Hochsommerabend sammelte ich auf einer Lichtung im Wald Reisig, als mich ein Tannen- oder Fichtenzapfen (ich konnte sie nicht gut auseinanderhalten) am Kopf traf. Über mir leuchtete der Himmel verboten rosa. Durch die Büsche kamen fünf kichernde Jungs auf mich zu, mit ausgebeulten Hosen, aus denen Tannen(oder Fichten-)zapfen ragten.
    »Ge, wir wollen doch nur spielen«, rief der kleinste von ihnen; er hieß Markus, und sein Vater führte eine Schweinezucht.
    »Ich muss heim«, sagte ich.
    »Du willst nie mit uns spielen!«, rief Markus.
    Als sie das letzte Mal mit mir gespielt hatten, war meine Unterhose bis zum Platzen mit Brennnesseln vollgestopft gewesen. Ich sagte, ich werde jetzt gehen, und schon während ich das tat, ärgerte ich mich, dass meine Worte sich anhörten wie eine Entschuldigung.
    Markus jonglierte mit zwei Zapfen. »Wir spielen jetzt Jagen. Wir sind die Jäger, ge? Und du, du bist eine Wildsau.«
    Ich drückte das Reisig an meine Brust, senkte den Kopf und lief los. Drei Zapfen verfehlten mich um Haaresbreite, ein vierter traf mich im Genick. Ich ließ das Reisig fallen. Hinter mir Gejohle, Geschrei, Getrampel. Solange ich das Tempo halten würde, könnte ich sie abhängen, dachte ich, einfach weiterrennen, springen, Haken schlagen. Bäume stellten sich mir in den Weg, Äste warfen sich vor meine Füße, Sonnenstrahlen blendeten mich   – ich stolperte nicht. Die Stimmen und Geräusche blieben hinter mir zurück, und ich warf einen Blick über die Schulter und konnte keine Bewegung hinter mir ausmachen. Mein Hals brannte, Rotz lief mir aus der Nase. Ich horchte in den Wald: nur Rabengeschrei und Windgesäusel. Ich machte einen Schritt rückwärts, glitt auf einer Wurzel aus und fiel. Ein Moosbett fing mich weich auf. Als ich mir den Dreck von der Hose geklopft hatte, sah ich auf. Markus stand vor mir und hielt mir seine Hand hin. »Kann ich helfen?«
    Sie schubsten und stießen mich zu einem Hochsitz, auf den ich manchmal mit Josfer stieg. Während mich die anderen festhielten, wurde ich von Markus gefesselt. Das Seil führten sie über einen Balken des Hochsitzes und zogen dann gemeinsam daran, bis

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