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Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Titel: Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Kloeble
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Vorstellung mit Bildern. Ich wollte den Mohnkuchen fallen lassen, ich wollte die Tür aufreißen und schreien: »Wisst ihr, dass die euch Ratten nennen? Dreckige Ratten!«
    Aber ich rührte mich nicht von der Stelle. Starrte auf die geschlossene Tür, vertilgte den Mohnstreifen. Und mit jedem Bissen schluckte ich die Wut.
     
    Auf alle sanft gesprochenen Bekenntnisse meiner Eltern, auf ihre ergebene, aber lästige Anhänglichkeit, auf ihr übertriebenes Verständnis für boshafte Kommentare oder Faulenzerei wusste ich von da an nur noch eine Antwort: »Lasst mich.«
    Ansonsten sprach ich kein Wort mehr.

Ich liebe euch
     
    Wenn wir gemeinsam am Tisch saßen und das Abendbrot zu uns nahmen, wenn das Feuer im Ofen knisterte, die Suppe im Topf blubberte, die Balken knarrten, wenn es nach Bratkartoffeln und Schinken und Apfelmost und Bärlauch duftete, wenn Jasfe eine Dummheit beichtete und alle darauf lachten, beinahe sogar ich, wenn ich mich so wohl fühlte und dachte, dass Jasfe nur Mama war und Josfer nur Papa und Anni nur meine Schwester und ich nur ihr Bruder, an solchen Abenden, wenn ich für sie alle so viel Liebe empfand, dass ich schreien wollte, so sehr liebte ich sie, dann kratzte ich unter dem Tisch an meiner Wunde, riss den Schorf auf und bohrte mit den Fingernägeln in der Haut, bis der Arm sich taub anfühlte, taub und abgestorben.
     
    Als ich mit zehn Jahren meinen Liebsten Besitz, ein löchriges Kopfkissen, das nach Zwiebeln roch, ins Opferfeuer warf, beobachtete ich, wie Josfer Jasfe einen Holzkamm wegnahm und ihn trotz der Tränen, die über ihre Wangen liefen, zusammen mit seinem besten Jagdmesser auf den Reisighaufen schleuderte. Wie immer schluchzten auf dem Heimweg viele Segendorfer, am meisten aber Jasfe.
    »Wo ist Herr Kastanie?«, fragte Anni im Quengelton einer Sechseinhalbjährigen, die noch nicht wahrhaben wollte, was mit ihrem Lieblingsspielzeug, einer Figur aus Zweigen und Kastanien, geschehen war.
    »Jasfe«, sagte Josfer, »du hast den Kamm doch nie benutzt.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Er gehörte unserer Mutter!«
    Ihr Anblick löste etwas in mir aus. An den darauffolgenden
Tagen verschwanden diverse Gegenstände aus der Küche und dem Jagdschuppen, darunter ein Kochlöffel, Schnürsenkel, eine Schürze, ein Lederriemen, eine Tonschüssel mit Salz, Kreide, ein Eimer und zu guter Letzt eine Hasenpfote. Weder Josfer noch Jasfe machten mich dafür verantwortlich. Was mich nur weiter dazu trieb, Dinge zu entfernen, wenn nötig kleinzuhacken und unter das Feuerholz im Kamin zu verteilen. Nie aber rührte ich Annis Sachen an.
    Es war, als wäre eine bisher verborgene Tür in meinem Kopf aufgesprungen, eine Tür, durch die heiße Luft herüberwehte. Ich verbrannte einen von Jasfe gepflückten Strauß Wiesenblumen und Josfers Hammer. (Den Hammerkopf vergrub ich im Sumpf.) Weder vor Josfers Hirschfänger noch vor Jasfes Spitzendeckchen, das den Esstisch zwischen den Mahlzeiten schmückte, machte ich halt. Einmal streckte ich sogar meinen nackten Arm ins Feuer und versengte den Flaum hellblonder Härchen. Ich wollte meine Eltern weinen sehen, ich wollte sie traurig machen, so traurig, wie ich es gewesen war, als ich in dem Trog voll Jauche nach Luft gerungen hatte.
    Doch niemand stellte mich zur Rede. Im Sommer 1924 saß Josfer beim Essen auf einem abgesägten Stück Baumstamm, da er sich noch keinen neuen Stuhl angefertigt hatte, dem Bett meiner Eltern fehlten alle vier Beine, und Jasfe musste sich ständig neue Schlüpfer nähen.
    Am Tag des Opferfestes zögerte ich gerade, welchen Liebsten Besitz ich auswählen sollte   – mein ein Jahr altes Kopfkissen (das ebenso intensiv nach Zwiebeln roch wie das vom Vorjahr) oder eine Schachtel Schwefelhölzer   –, da riefen sie mich zu sich in die Stube.
    »Schon entschieden?«, fragte Josfer.
    »Lasst mich«, sagte ich.
    Jasfe brachte mich zur Tür. Draußen wartete Anni, sie wiegte Frau Puppe, ihre erste selbst genähte Puppe, gedankenverloren in den Armen.
    Jasfe drückte mir eine Fackel in die Hand. »Du weißt, was du zu tun hast.« Sie ging ins Haus und verriegelte die Tür hinter sich.
    »Wir wissen, wer die Sachen verbrannt hat!«, rief Josfer durch die Tür.
    »Lasst mich!«, rief ich zurück.
    »Heute ist Opferfest. Heute darfst du verbrennen, was du willst. Also los! Zünde das Haus an!«
    »Aber   … aber ihr seid noch drinnen.«
    »Da kann ja jemand sprechen!«
    »Lasst mich.«
    »Hast du uns nicht lieb, Julius?«
    »Das ist

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