Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)
eisgekühlte Limonade!« Er riss den Deckel der Kiste auf.
Fred stierte ihn an.
»Oh. Hat nicht geklappt. Na ja. Kommt vor. Zweiter Versuch.« Mit einem Knall warf er den Deckel zu.
Fred zuckte zusammen.
»Vielleicht war das kein Wunsch, der von Herzen kam«, sagte Albert und spürte eine Wut wachsen. »Wie wäre es damit: Ich wünsche mir ein Indiz … nein, warum bescheiden sein, wenn man eine Wunderkiste hat? … lieber Geist in der Kiste, ich wünsche mir meine Mutter.« Deckel auf. »So was. Ist wahrscheinlich gerade beschäftigt. Na dann. Aller guten Dinge sind …« Er trat die Kiste zu. »Wie wäre es mit deinem Paps, hm? – Oder unser Stammbaum? – Ein kleineres Herz für dich?«
Albert machte sich nicht mehr die Mühe nachzusehen.
»Bist du sauer?«, fragte Fred.
»Wie kommst du darauf?«
Fred öffnete die Kiste. »Albert! Schau!« Er griff hinein und holte den Bären-Aufkleber hervor.
»Ein Wunder«, sagte Albert. Dann sah er, dass auf der Innenseite des Deckels, an der Stelle, die vom Aufkleber verdeckt gewesen war, drei Worte standen:
Mein Liebster Besitz.
Wieder diese schnörkelige Schulmädchenschrift.
Fred steckte den Kleber ein. »Mein Paps schenkt mir gerne Sachen.«
»Hast du ihn jemals gesehen?«
»Nein.« Fred beugte sich vor: »Hast
du
ihn gesehen?«
»Nein, Fred, nein. Hab ich nicht.«
Bevor sie den Heimweg antraten, verlangte Fred nach einer Stärkung. Rücken an Rücken saßen sie auf der Kiste und verzehrten sämtliche mitgebrachten Brote, die geschälten Karotten, die Bananen und spülten alles mit der Apfelschorle hinunter. Fred aß mit großem Appetit, und obwohl Albert ebenfalls Hunger hatte, hielt er sich zurück, damit Fred satt wurde.
Sie waren kaum fünf Minuten unterwegs, da legten Alberts Gedanken wieder los; er war selbst schuld; er konnte sich nichts vormachen; wenn er das versuchte, dann meldete sich sofort eine zweite Stimme in seinem Kopf, die widersprach, und sobald der Diskurs dieser Stimmen eine Sackgasse erreichte, vermittelte eine dritte Stimme zwischen beiden und zog ein Fazit, das er mit seiner vierten Stimme, der richtigen, formulierte. Was in diesem Fall so klang: »Bist du dir sicher, Fred, dass außer dir niemand von der Kiste weiß?«
Fred sagte: »Nein.«
»Ich meine, außer dir und deinem Paps.«
»Außer meinem Paps und mir weiß nur einer, dass es die Kiste gibt.«
»Wer?«
»Du.«
Alberts Finger zappelten, sie wollten eine Zigarette halten. Um sie zu beruhigen, schob er die Hand in seine Hosentasche und griff nach dem Schminkklappspiegel.
Fred kratzte sich an der Nase. »Du musst nicht traurig sein,weil du keine Lilie hast. Irgendwann kriegt jeder eine Blume für Tote. Sogar du.«
»Meinst du.«
Heftiges Kopfnicken. »Ganz sicher!«
Albert ließ den Spiegel los und legte die Stofftasche ab. Er stellte sich auf Zehenspitzen, nahm Fred den Trachtenhut vom Kopf und sah sich noch einmal die Lilie an. Mit dem Daumen befühlte er den Stiel. Er war glatt durchtrennt worden. Mit einem Messer. Oder einer Gartenschere.
Eine Überraschung
Eigentlich war sein Herz, seitdem sie die Kanalisation verlassen hatten, die ganze Zeit ruhig gewesen, aber in der Sekunde, als Albert das Grundstück von Freds Nachbarin betrat und den Namen neben ihrer Tür las –
Klondi
, in schulmädchenhafter Schönschrift –, waren er und sein Herz gar nicht mehr ruhig, und er hatte Mühe, das vor Fred zu verbergen, der hinter ihm wartete, während er zum zweiten Mal innerhalb von zwei Tagen vor einer Haustür stand und zögerte, die Türklingel zu drücken.
»Albert?«
»Ja?«
»Du musst klingeln.«
Die dünne Sommerluft war angenehmer zu atmen als der Sauerstoffbrei in der Kanalisation, aber nun, da er wieder draußen war, an diesem Nachmittag, um ungefähr fünfzehnUhr, fühlte sich Albert ungeschützt. Zu viel Raum zum Denken. Klar abgesteckte Grenzen, etwa die eines katholischen Waisenhauses, bekamen ihm besser. Nur, wie errichtete man eine Mauer im Kopf? Wie dachte man nicht:
Klondi. Es kann doch nicht Klondi sein. Kann es Klondi sein?
Fred klingelte.
»Danke«, sagte Albert.
»Bitte«, sagte Fred.
»Hier drüben«, rief eine rauchige Frauenstimme aus dem Garten. Fred und Albert gingen um das Haus herum, dessen Balkon sich nach rechts neigte wie ein schiefes Lächeln. Klondi saß auf einem Fleck Rasen vor dem Froschteich. Fünf Jahre war es her, seitdem Albert sie besucht und nach seiner Mutter befragt hatte. Man sah ihr die
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