Meister Antifer's wunderbare Abenteuer
Iris;
»Verzwickte Breite«! rief er. (S. 38.)
eine unten ziemlich dicke Nase, die auch lang genug war, um die Blättchen beim Drogue- (Soldaten-) Spiel darauf befestigen zu können, und nahe den Augen mit zwei Einsenkungen, wie die Salzfäßchen eines alten Gauls; vollständige, feste und gesunde Zähne, die unter den Zuckungen der Kinnladen krachten, vorzüglich weil ihr Besitzer immer einen Kieselstein im Munde hatte; etwas behaarte Ohren mit trompetenartiger Muschel und herabhängenden Ohrläppchen, deren eines einen kleinen kupfernen Anker trug; endlich ein hoher etwas magrer Körper, nervöse Beine und ziemlich große Füße, die gewöhnlich so weit auseinanderstanden, um gegen jedes Stampfen und Schlingern gesichert zu sein. Aus allem erkannte man eine seltne Kraft, Dank den wie die Fasces der römischen Lictoren festvereinten Muskelbündeln, eine eiserne Gesundheit des gut essenden und tüchtig trinkenden Mannes, der gewiß noch lange auf ein klares Gesundheitspatent Anspruch gehabt hätte. Dagegen wohnte auch eine ungeheure Reizbarkeit und Nervosität in dem Männchen, der vor sechsundvierzig Jahren in das Taufregister seiner Heimat unter den bezeichnenden Namen Pierre-Servan-Malo Antifer eingetragen worden war.
Und heute Abend war er ganz außer sich und wetterte, daß das ganze solide Häuschen erzitterte, so als ob an seinen Grundmauern eine jener Aequinoctialfluthen rüttelte, die oft fünfzig Fuß hoch ansteigen und die halbe Stadt mit Schaum bedecken.
Nanon, Witwe Le Goât, achtundvierzig Jahre alt, war die Schwester unsres immer etwas lauten Seemannes. Ihr Gatte, eine simple Landratte und angestellt im Hause Le Baillif, war schon zeitig gestorben und hatte eine Tochter Enogate hinterlassen, der sich der Onkel Antifer angenommen hatte und der gegenüber er auch alle Pflichten des Vormundes und Pflegevaters gewissenhaft erfüllte. Nanon war eine brave Frau, die ihren Bruder liebte, vor ihm zitterte und sich vor seinen Sturmausbrüchen beugte.
Enogate hingegen, ein hübsches Mädchen mit blondem Haar und blauen Augen, frischem Teint, intelligenten Zügen, natürlicher Anmuth und entschlossener als ihre Mutter, widersprach und widersetzte sich bisweilen ihrem schrecklichen Vormund.
Dieser betete sie übrigens an und behauptete, sie sei ebenso das glücklichste Mädchen von St. Malo, wie sie eines der schönsten wäre.
Wahrscheinlich verstand er aber unter Glück etwas, was seine Nichte und Mündel nicht ebenso auffaßte.
Die beiden Frauen erschienen auf der Schwelle des Zimmers. Die eine mit ihren langen Stricknadeln, die andre mit dem Bügeleisen, das sie eben aus der Gluth gezogen hatte, in den Händen.
»Nun, was giebt’s denn wieder? fragte Nanon.
– Meine Breite… meine verteufelte Breite!« antwortete Meister Antifer.
Dabei versetzte er sich einen Faustschlag vor die Stirn, von dem jeder andre Schädel, als der ihm von Natur verliehene, unbedingt in Stücke gegangen wäre.
»Lieber Onkel, begann Enogate, weil Dir Deine unselige Breite im Kopf herumspukt, brauchst Du doch nicht das ganze Zimmer durcheinander zu werfen….«
Damit hob sie den Atlas auf, während Nanon die Bruchstücke der Muschel aufsuchte, die wie von einer Pulverexplosion umherlagen.
»Die hast Du zerbrochen, lieber Onkel?
– Ja, ich, Kleine, und wenn’s jemand anders gewesen wäre, hätte ihm der Kuckuck in den Nacken fahren sollen!
– Warum hast Du sie denn zu Boden geschleudert?
– Weil mir die Hand durchging!
– Diese Muschel war ein Geschenk unsres Bruders, sagte Nanon, und – es war unrecht von Dir…
– Na, und wenn Du mir bis morgen vorpredigst, daß es unrecht war, wird sie deshalb doch nicht wieder ganz!
– Was wird mein Vetter Juhel dazu sagen! rief Enogate.
– Hoffentlich gar nichts, und daran wird er sehr wohl thun! entgegnete Meister Antifer, dem man das Bedauern darüber ansah, nur zwei weibliche Wesen vor sich zu haben, über die er vernünftiger Weise die Schale seines Zorns nicht wohl entleeren konnte. – Uebrigens, setzte er hinzu, wo steckt denn der Juhel?
– Du weißt, Onkel, daß er nach Nantes gereist ist, erklärte das junge Mädchen.
– Nantes! – Ja, das ist ein ander Ding! Was hat er denn in Nantes zu schaffen?
– Aber, Onkelchen, Du hast ihn ja selbst dahin geschickt… weißt Du nicht… Wegen seiner Prüfung als Kapitän für lange Fahrt.
– Kapitän für lange Fahrt… Kapitän für lange Fahrt! knurrte Meister Antifer. Ihm war’s wohl nicht genug,
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