Meister Antifer's wunderbare Abenteuer
Millionen! rief er wiederholt.
– Das heißt tausendmal tausend Francs!« setzte der Frachtschiffer hinzu.
Da konnte sich Meister Antifer nicht mehr halten, er hüpfte jetzt auf einem Fuße, dann auf dem andern, beugte sich zusammen, streckte sich wieder aus, wiegte sich in den Hüften, drehte sich wie ein Gyroskop – wenn auch nicht in derselben Ebene – und begann schließlich einen Matrosentanz, wie das Repertoire der lustigen Theerjacken deren eine ganze Menge mit ebenso verschiedenen, wie bezeichnenden Namen enthält.
In die Kreisbewegung dieser Masse riß er dabei auch seinen Freund Gildas Tregomain mit hinein und schwenkte den dicken Mann so heftig herum, daß das ganze Haus bis zum Grunde zitterte. Dazu sang er mit einer Stimme, die alle Fensterscheiben zittern machte:
»Ich habe meinen Me…
Mo me!
Ich habe meinen ri…
Ro ri!
Ich habe meinen ri… ich habe meinen Meridian!«
Neuntes Capitel.
Worin auf einer Karte des Antifer’schen Atlas ein Punkt mit Rothstift ganz genau eingezeichnet wird.
Während ihr Onkel sich in diesem »Zweimännertanz« abhetzte, waren Enogate und Juhel nach dem Stadthause und nach der Kirche gegangen. Im Stadthause hatte der Standesbeamte, der »Flitterwochenfabrikant«, ihnen auf der Tafel schon die Veröffentlichung ihres Aufgebots gezeigt und der Hilfsgeistliche in der Kathedrale ihnen eine Trauung mit Gesang und Orgelklang und mit allem kirchlichen Pompe versprochen.
Ob sie jetzt glücklich waren, dieser Vetter und diese Base, nachdem sie die Trauungserlaubniß eingeholt! Ob sie mit einer Ungeduld, die Juhel nur schlecht verhehlte und die Enogate nicht viel mehr verbarg, jenen 5. April erwarteten, den sie trotz des Zögerns ihres Onkels diesem abgenöthigt hatten! Natürlich beschäftigten sie sich mit allen Vorbereitungen, mit der Ausstattung der Braut, Schmuckgegenständen und Möbeln für die gute Stube im ersten Stock, die der gute Tregomain alle Tage mit weiteren Kleinigkeiten schmückte, die er in früheren Jahren an den Ufern der Rance gesammelt hatte – darunter eine kleine Statue der Jungfrau Maria, ehedem ein Schmuck der Cabine seiner »Charmante Amolie«, die er den Neuvermählten schenken wollte. Er war ja überhaupt ihr Vertrauter, einer, wie sie ihn gar nicht besser hätten finden können, der Großsiegelbewahrer ihrer Hoffnungen, ihrer Pläne für die Zukunft. Doch zwanzigmal des Tages wiederholte der würdige Frachtschiffer:
»Ich gäbe viel darum, wenn die Hochzeit erst vorüber wäre und Standesbeamter und Pfaffe das Ihrige schon gethan hätten.
– Doch warum das, mein guter Gildas? fragte das junge Mädchen etwas beunruhigt.
– Ja, der Freund Antifer ist gar nicht zu berechnen, sobald er sein Steckenpferd sattelt und auf den Millionen herumreitet!«
Das war auch Juhels Ansicht. Wenn man von einem Onkel, von einem vortrefflichen, zuweilen aber etwas aus dem Gleise kommenden Manne abhängt, kann man sich auf nichts verlassen, bevor nicht das feierliche »Ja« vor dem Standesbeamten ausgesprochen ist.
Handelt es sich nun gerade um Familiensachen von Seeleuten, so ist erst recht keine Zeit zu verlieren. Entweder muß so ein Seemann Hagestolz bleiben, wie unser Küstenfahrer und der Kapitän des Frachtschiffes, oder er muß sich verheiraten, sobald das erlaubt und möglich ist. Juhel wollte sich bekanntlich als zweiter Officier auf einem dem Hause Le Baillif gehörenden Dreimaster einschiffen. Nachher vergingen wohl Monate oder gar Jahre, die er auf fremden Meeren und tausende von Meilen entfernt von seiner jungen Gattin getrennt war, wenn der Himmel ihren Herzensbund jetzt segnete. Enogate war als Tochter eines Seemannes freilich schon an den Gedanken gewöhnt, daß ihr Gatte auf weiten Reisen lange Zeit von ihr fort sein würde, und dachte gar nicht daran, daß das anders sein könnte. Ein Grund mehr keinen Tag zu verlieren, da sie ja in Zukunft so sehr viele Tage getrennt sein würden.
Von dieser Zukunft plauderten der junge Kapitän und seine Braut, als sie an diesem Morgen von ihren Wegen zurückkehrten. Sie erstaunten da nicht wenig, aus dem Hause in der Rue des Hautes-Salles zwei Fremde kommen zu sehen, die sich offenbar wüthend davon entfernten. Juhel vermuthete aus deren Besuche bei Meister Antifer, daß hier etwas außergewöhnliches vorgegangen sein müsse.
Das wurde ihm zur Gewißheit, als er und Enogate den Lärmen von oben her und das improvisierte Lied vernahmen, dessen Refrain bis zum Ende der Stadtmauer hinaustönte.
Der
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