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Meister Antifer's wunderbare Abenteuer

Meister Antifer's wunderbare Abenteuer

Titel: Meister Antifer's wunderbare Abenteuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Wand hängenden Almanach aus. Nach der letzten Botschaft gaben sie sich dann der Hoffnung hin, daß der zweite Theil der Fahrt der Heimkehr gewidmet sein werde.
    Ein dritter Brief traf am 29. April, etwa zwei Monate nach dem Weggange Juhels ein. Enogate fühlte ihr Herz lebhafter schlagen, als sie auf dem Umschlag den Poststempel »Tunis« entdeckte. Ihre Freunde hatten Mascat also wieder verlassen… schwammen auf europäischen Meeren… Frankreich, der Heimat zu! Bis Marseille brauchten sie kaum drei Tage und von da mit dem Schnellzuge bis Saint-Malo höchstens sechsundzwanzig Stunden!
    Mutter und Tochter saßen in einem Parterrezimmer, nachdem sie die Thür hinter dem braven Manne, dem Briefträger, sorgsam geschlossen hatten. Nun konnte sie niemand stören und sie brauchten ihren Gefühlen keinen Zwang anzuthun.
    Als Enogate die etwas feucht gewordenen Augen getrocknet hatte, erbrach sie den Umschlag, zog den Brief heraus und las ihn laut und zum bessern Verständniß jedes Satzes langsam vor.
     
    Regentschaft Tunis, La Goulette,
    22. April 1862.
     
    »Meine herzliebste Enogate!
     
    Ich umarme Dich zuerst im Namen Deiner Mutter, in Deinem eignen und auch in meinem Namen! Ach, was sind wir so weit auseinander und wann wird diese endlose Reise alle sein!
    Ich habe Dir schon zweimal geschrieben und hoffe, daß meine Briefe in Deine Hände gekommen sind. Hier erscheint nun der dritte, ein noch wichtigerer, in erster Linie, weil er Dir mittheilen soll, daß die Sache mit dem Schatze zum großen Kummer unsres Onkels eine sehr unerwartete Wendung genommen hat…«
    In die Hände klatschend, stieß Enogate einen kurzen Freudenschrei aus.
    »Sie haben nichts gefunden, Mutter, rief sie, nun brauch’ ich keinen Prinzen zu heiraten…
    – Lies nur weiter, mein Kind!« antwortete Nanon.
    Enogate vollendete den unterbrochenen Satz.
    »… und dann, weil ich Dir leider sagen muß, daß wir unsre Nachsuchungen noch weit – sehr weit – fortzusetzen gezwungen sind…«
    Der Brief zitterte in den Händen Enogates.
    »Die Nachsuchungen fortsetzen… sehr weit! murmelte sie. Sie kommen nicht zurück… ach, Mutter, sie kommen noch immer nicht zurück!
    – Nur Muth, mein Herz; lies nur erst weiter!« wiederholte Nanon.
    Die Augen voller Thränen, nahm Enogate die Lectüre des Briefes nieder auf. Juhel erzählte darin kurz, was sich auf dem Eilande im Golfe von Oman zugetragen und wie man dort statt des gehofften Schatzes nur ein Pergament aufgefunden hatte, das erst noch einer neuen Länge erwähnte. Dann schrieb er weiter:
    »Nun denke Dir selbst, meine liebste Enogate, die Enttäuschung unsres Onkels, seine Wuth, doch auch meine gedrückte Stimmung, nicht darüber, daß wir den Schatz nicht heben konnten, doch darüber, daß sich unsre Heimfahrt nach Saint-Malo, meine Rückkehr zu Dir auf unbestimmbare Zeit hinausschob! Ich glaubte, das Herz müsse mir brechen….«
    Enogate hatte Mühe, das stürmische Klopfen des ihrigen zu unterdrücken, und sie fühlte dabei, was Juhel wohl hatte leiden müssen.
    »Armer Juhel! seufzte sie.
    – Und Du Aermste! murmelte ihre Mutter. Doch fahre fort, mein Kind!«
    Enogate begann wieder mit vor Erregung zitternder Stimme:
    »Kamylk-Pascha verlangt nämlich von uns, jene verwünschte Länge einem gewissen Zambuco, einem Banquier in Tunis, zu übermitteln, der wieder eine zweite Breite kennen würde. Der Schatz war also offenbar auf einer andern Insel vergraben worden. Wahrscheinlich hatte der Pascha auch gegen diesen Mann gewisse Verpflichtungen, ähnlich wie gegen unsern Großvater Antifer. Danach wäre die Erbschaft also unter Zwei zu vertheilen – auf jeden die Hälfte. Den Ingrimm eines gewissen Jemand kannst Du Dir wohl vorstellen. Nur fünfzig Millionen statt deren hundert!… Ich wünschte, der Aegypter hätte gleich hunderttausend Erben bezeichnet; dann käme auf den Onkel so wenig, daß er sich unsrer Verehelichung gar nicht mehr widersetzte!«
    Enogate unterbrach sich.
    »Braucht man denn Geld, wenn man sich so lieb hat? sagte sie kleinlaut.
    – Nein, Geld ist manchmal sogar beschwerlich dabei, erwiderte die alte Frau in gutem Glauben. Nun weiter, meine Tochter!«
    Enogate gehorchte.
    »Als unser Onkel das aufgefundne Document durchlas, war er so vor den Kopf gestoßen, daß er die Ziffern der neuen Länge sammt der Adresse dessen, dem er sie überbringen sollte, um danach erst die Lage des richtigen Eilands zu erfahren – kurz, alles miteinander zu vergessen schien. Zum

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