Meister Antifer's wunderbare Abenteuer
Antifer und seine Begleiter aber in la Goulette waren, so waren sie damit noch nicht in der Stadt Tunis. Sie mußten erst die von einer italienischen Gesellschaft erbaute Schmalspurbahn benützen, die längs des Hügels von Karthago den Bahira-See umkreist.
Auf dem Quai angelangt, fanden unsre Reisenden eine breite Straße mit dem Hôtel des Gouverneurs, der katholischen Kirche, mit Cafés und Privathäusern, kurz, alles vereinigt, was es hier Europäisches und Modernes giebt. Man muß bis nach dem Strandpalast hinausgehen, den der Bey zur Seebadezeit zuweilen bewohnt, um das erste Zeichen von orientalischer Färbung zu entdecken.
»Die orientalische Färbung« – darum bekümmerte sich Pierre-Servan-Malo freilich ebensowenig, wie um die hier spielenden Sagen und geschichtlichen Merkwürdigkeiten von Regulus, den Scipionen, Cäsar, Marius und Hannibal! Die Namen dieser großen Persönlichkeiten kannte er gewiß nur so vom Hörensagen, denn, wie den guten Tregomain, befriedigte der Ruhm seiner Vaterstadt die Eigenliebe des Mannes schon vollständig. Nur Juhel hätte sich historischen Erinnerungen hingeben können, wenn die Gegenwart für ihn nicht gar so sorgenvoll gewesen wäre. Von ihm konnte man dasselbe sagen, was in der Levante von einem zerstreuten Menschen gesagt wird: »Er sacht seinen Sohn, den er auf den Schultern trägt.« Er freilich suchte seine Verlobte, bekümmert, sich noch weiter von ihr entfernen zu sollen.
Nach schneller Wanderung durch la Goulette, kamen Meister Antifer, der Frachtschiffer und Juhel, in der Hand den Reisesack – den sie in Tunis wieder zu füllen gedachten – nach dem Bahnhof, um den nächsten Zug abzuwarten. Ben Omar und Nazim folgten ein kleines Stück hinter ihnen. Da Meister Antifer die Zähne fest zusammengebissen hielt, wußten sie noch nichts von jenem Banquier Zambuco, den die Laune Kamylk-Paschas ihnen noch zugesellen sollte. Das war ja ärgerlich, wenn auch nicht für den Notar, der seine Provision jedenfalls einheimste, wenn er nur bei der Gesellschaft ausharrte, so doch für Saouk, der es dann mit zwei Erben statt mit einem zu thun bekam. Und was für ein Mann würde der neue wohl sein?
Nach halbstündigem Warten nahmen die Reisenden in einem Zuge Platz, hielten bald einige Minuten an einer nahen Station, von wo aus die Rückseite des Hügels von Karthago und das wegen seines archäologischen Museums berühmte Kloster der Weißen Brüder zu sehen war, erreichten dann binnen vierzig Minuten Tunis und begaben sich durch dessen Marine-Allee nach dem im Europäerviertel gelegnen Hôtel de France. Hier erhielten sie drei etwas nackte Zimmer, nach denen man auf sehr breiter Treppe gelangte und deren Betten mit Moskitonetzen überspannt waren. Im Restaurant des Erdgeschosses konnten sie in einem geräumigen Saale mit recht guter Ausstattung zu beliebiger Zeit ihr Frühstück und Mittagbrod einnehmen. Das Haus machte in der That einen großstädtischen Eindruck. Unsre Malouins dachten freilich nicht daran, hier längere Zeit zu verweilen.
Meister Antifer scheute sogar die Mühe, sich erst einmal nach seinem Zimmer hinauf zu begeben.
»Ich hoffe, Euch hier wieder zu finden, sagte er zu seinen Begleitern.
– Geh’ nur, alter Freund, antwortete der Frachtschiffer, mache Deine Geschäfte gleich bei der Landung ab!«
Diese »Landung« beunruhigte Juhels Oheim freilich ein wenig. Gewiß fiel es ihm nicht ein, seinen Miterben überlisten zu wollen, wie es Ben Omar bei ihm versucht hatte. Als ehrlicher Mann und, trotz seiner Eigenheiten, von vollendeter Geradheit, stand es für ihn fest, keine Winkelzüge zu machen. Er wollte vor den Banquier treten und zu ihm sagen:
»Hier sehen Sie, was ich Ihnen bringe… wir wollen nun sehen, was Sie dafür zu bieten haben, und dann: Vorwärts!«
Was das auf dem Eiland gefundene Document betraf, mußte genannter Zambuco ja davon unterrichtet sein, daß ein gewisser Antifer, ein Franzose, ihm die Länge bringen würde, die zur Lagebestimmung des Eilandes mit dem verborgenen Schatze nothwendig war… der Banquier konnte sich über sein Erscheinen also nicht besonders wundern.
Eine Furcht bedrückte Meister Antifer aber doch – die Furcht, daß sein Miterbe des Französischen nicht mächtig wäre. Sprach Zambuco wenigstens englisch, so war ja mit Hilfe des jungen Kapitäns zur Noth auszukommen. Verstand er aber keine dieser beiden Sprachen, so mußte man einen Dolmetscher in Anspruch nehmen. Und dann war das
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