Meister Antifer's wunderbare Abenteuer
verdächtig erschienen waren – gefangen gesetzt. Wegen Mangels an Beweisen mußte man sie zwar wieder laufen lassen, bestraft waren sie für ihre Ergebenheit aber doch.
Sowie der Vater des Meister Antifer also Kamylk-Pascha 1799 einen großen Dienst erwiesen hatte, als er ihn halbtodt aus der Klippe von Jaffa rettete, so hatte sich dreißig Jahre später auch Zambuco ein Anrecht auf dessen Erkenntlichkeit erworben.
Kamylk-Pascha sollte seiner nicht vergessen.
Das erklärt also sehr einfach, warum Thomas Antifer einerseits und der Banquier Zambuco andrerseits, der eine in Saint-Malo, der andre in Tunis, im Jahre 1842 einen Brief erhalten hatten, der ihnen ankündigte, daß sie eines Tages ihren Antheil an einem Schatze von hundert Millionen auf einem Eilande zu erheben haben würden, von dem jeder die Breitenangabe empfing, während sie die Länge einander seiner Zeit mitzutheilen hätten.
Daß die Wirkung dieser Mittheilung auf eine Persönlichkeit wie diesen Zambuco die gleiche war, wie auf Thomas Antifer und später auf dessen Sohn, ist ja leicht zu vermuthen. Natürlich äußerte der Banquier hierüber gegen keinen Menschen auch nur ein Wörtchen. Er verschloß die Ziffern seiner Breite im Tresor des dreifach gesicherten Geldschrankes, und seitdem verfloß keine Minute, wo er nicht dem Eintreffen des von Kamylk-Pascha angekündigten Antifer entgegensah. Vergeblich bemühte er sich, das Schicksal jenes Aegypters auszukundschaften. Von seiner Gefangennahme an Bord der Brigg-Goëlette, 1834, von seiner Ueberführung nach Kairo, seiner achtzehnjährigen Einkerkerung und von seinem 1852 erfolgten Ableben war nichts in die Oeffentlichkeit gedrungen.
Jetzt schrieb man 1862. Zwanzig Jahre waren seit 1842 verflossen, ohne daß der Malouin erschien, und die Länge hatte sich der Breite noch nicht zugesellt. Zambuco verlor die Hoffnung darauf jedoch nicht, daß die Absichten Kamylk-Paschas sich schon früher oder später erfüllen würden. Seiner Ueberzeugung nach mußte sich genannter Antifer ebenso sicher noch in der Malteserstraße zeigen, wie ein von allen Sternwarten angekündigter Komet am Himmel aufzieht. Der Nimmersatt bedauerte nur, die Erbschaft mit einem Zweiten theilen zu müssen, und in Gedanken schickte er diesen zu allen Teufeln. An den Verfügungen des dankbaren Aegypters vermochte er freilich nichts zu ändern. Die hundert Millionen zu theilen, erschien ihm aber immer entsetzlich. Jahrelang hatte er deshalb schon gegrübelt und die unsinnigsten Pläne entworfen, wie er wohl die ganze Erbschaft einstecken könnte. Jedenfalls war er auf den Empfang jenes Antifer, wenn dieser ihm die versprochene Länge brachte, gebührend vorbereitet.
Natürlich hatte der vom Schiffahrtswesen nicht unterrichtete Banquier Zambuco sich erklären lassen, wie man mittelst einer Länge und einer Breite, d. h. durch Kreuzung zweier nur gedachter Linien, die Lage eines Punktes auf der Erdkugel bestimmen könne. Jedenfalls hatte er aber begriffen, daß die Zusammenwirkung der beiden Legatare dazu unerläßlich sei, daß er nichts ohne Antifer, und Antifer nichts ohne ihn ausrichten könne.
Drittes Capitel.
Worin Meister Antifer sich einem so unsinnigen Vorschlage gegenüber sieht, daß er die Flucht ergreift, um nicht darauf antworten zu müssen.
»Kann ich den Banquier Zambuco sprechen?
– Wenn in Geschäften, ja.
– Es handelt sich um Geschäftsangelegenheiten.
– Ihr Name?
– Melden Sie einen Ausländer, das genügt.«
Diese Fragen und Antworten wurden zwischen Meister Antifer und einem bejahrten, griesgrämigen Eingebornen (in schlechtem Französisch) gewechselt, der in einem engen, durch ein Drahtgitter in zwei Hälften getheilten Comptoir am Pulte hockte.
Der Malouin hatte seinen Namen nicht nennen wollen, weil er die Wirkung dieses Namens zu beobachten wünschte, wenn er vor den Banquier hintrat und sagte:
»Ich bin Antifer, der Sohn Thomas Antifer’s, aus Saint-Malo!«
Eine Minute darauf sah er sich in ein Cabinet ohne Gardinen, mit weißgetünchten Wänden und vom Lampenruß geschwärzter Decke eingeführt, dessen ganze Ausstattung in einem Geldschranke, einem Cylinderbureau, einem Tische und zwei Schemeln bestand.
Vor dem Tische saß der Banquier. Die beiden Erben Kamylk-Paschas befanden sich jetzt also Auge in Auge gegenüber.
Ohne aufzustehen, schob Zambuco mit Daumen und Mittelfinger die große rundglasige Brille auf der Papageiennase zurecht und fragte, kaum den Kopf aufrichtend, in einem
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