Meister der Assassinen
Mutter oben erklang.
»Was macht ihr denn da? Laura, hatte ich dir nicht gesagt, ein Glas Essiggurken zu holen? Bist du denn nicht mal dazu imstande?«
»Frau Adrian, es ist kein Licht im Keller«, erklärte Paul.
»Dann drehen Sie doch um Himmels willen eine neue Birne rein, oder soll ich das etwa auch selber machen? Wozu bezahle ich Sie denn, fürs Händchenhalten meiner Tochter? Kommen Sie sofort hier rauf und lassen Sie sie allein hinuntergehen! Sie ist alt genug, sie muss das jetzt lernen.«
»Ist schon in Ordnung«, flüsterte Laura. Sie wusste, dass die Laune ihrer Mutter noch unerträglicher würde, wenn Paul Widerspruch wagte.
Er drückte kurz ihre Hand, bevor er sie losließ, und war schon am Hinaufgehen, als die höhnische Stimme der Mutter erneut herunterschallte. » Mit der Taschenlampe, Sie Hohlschädel! So wird das ja nie was! Sie hat genügend Licht durch die Schächte da unten. Und du, Laura, holst mir jetzt sofort das Glas. Wenigstens einmal könntest du deiner Mutter einen Gefallen tun, ohne dass daraus ein Drama wird!«
»Ja, Mama«, sagte Laura mit piepsiger Stimme, was ihr eine weitere Rüge einbrachte.
Mit zitternden Knien stieg sie die Treppe hinab. Der Gang war schummrig von dem Licht erhellt, das durch das blinde Fenster des Schachtes hereinfiel. Laura brauchte eine Weile, bis ihre Augen sich daran gewöhnt hatten, und machte sich auf den Weg in den Vorratsraum. Immer wieder blieb sie stehen und lauschte. Der Mop kündigte sich durch ein leises Kratzen an, wenn seine Krallen über den Betonboden schleiften.
Laura schluckte. Es lief ihr eiskalt den Rücken hinunter. Sie öffnete die Tür und ging in den nahezu dunklen Raum, weil der Lichtschacht darin zur Hälfte von einem Regal verdeckt wurde.
Das Essiggurkenglas stand auf dem zweiten Fach von oben. Laura musste sich ordentlich strecken, um überhaupt nach oben zu gelangen. Sie wusste, warum Mutter ihr das aufgetragen hatte. Laura hatte schon einmal das reinste Chaos angerichtet, als sie das Regal bei dem Versuch, sich daran hochzustemmen, zum Kippen gebracht hatte. Es schaukelte zwar wieder zurück, ohne umzufallen, aber in der Zwischenzeit waren einige Einmachgläser herausgefallen, zerbrochen, und der klebrige Inhalt war über den weiß gekalkten Boden geflossen. Das hatte ein Donnerwetter gegeben!
Aber inzwischen war Laura ein bisschen gewachsen und reichte nun gerade so hinauf, dass sie nicht wieder alles umwarf. Solange das Glas vom am Rand stand ...
Das Mädchen hangelte mit den Fingern, bekam das Glas zu fassen, schubste es etwas näher zu sich, bis es es packen konnte. Erleichtert presste Laura es an ihre schmale Brust und drehte sich um.
Da stand der Mop.
Laura erstarrte, sämtliche Haare standen ihr zu Berge, und sie öffnete den Mund, aber kein Laut drang hervor.
Der Mop war spindeldürr, mit wirren, weit abstehenden Haaren, durch die zwei böse Augen glühten.
»Hffchchrrrr«, machte er. In dem wirren Schwarz blitzten weiße Raffzähne in einem grinsenden Mund auf.
Laura stand völlig starr. Sie hörte die wütende Stimme ihrer Mutter, konnte aber nicht antworten.
Nach einer Weile, Laura hatte keine Ahnung, wie lang, erklangen auf einmal Schritte, und dann flammte Licht im Raum auf. Laura blinzelte und erkannte undeutlich Mathilde.
»Mädchen, warum machst du denn kein Licht hier drin?«, fragte sie.
»D... die Birne«, stotterte das Kind.
»Ja, im Gang draußen. Aber doch nicht hier drin, Dummerchen.« Die ziemlich dicke, freundliche Frau kam näher und tätschelte ihr die Wange. Das tat sie gern. »Na komm, gehen wir rauf, Mama ist sich ziemlich grrrantig. Haste Angst vor ihr gehabt hier drunten?«
Laura nickte. Die Geschichte mit dem Mop würde Mathilde sowieso nicht glauben, denn kaum war das Licht aufgeflammt, als er auch schon verschwunden war.
Mathilde nahm sie an die Hand, und sie gingen wieder hinauf.
Und da hatte Laura, wie sie sich erst viele Jahre in Innistìr in einem dunklen Stollen erinnern sollte, zum ersten Mal die Wärme unter ihren Füßen gespürt und sich auf einmal behütet gefühlt.
Wenigstens war es nicht kalt in dem Stollen. Die Kleidung fing an zu trocknen; das war eben gute Arbeit aus Innistìr. Trotzdem fürchtete Laura sich. Der Mop war ja nicht der Einzige gewesen, der sie gern erschreckte.
Laura erinnerte sich an spätere Winter, wenn es draußen bereits um fünf Uhr dunkel war. Wenn kein Schnee lag, waren dies die dunkelsten Nächte, die auch kein Mondlicht mehr erhellen
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