Meister der Assassinen
tatsächlich über den Grat? Dort oben war sie der Gefahr des Blitzschlags vielleicht noch mehr ausgesetzt!
»Laura!«, rief Milt. »Lass uns anhalten, wir wollen uns gegenseitig Schutz geben! Warten wir ab, bis sich das Unwetter verzieht!«
Der neuerliche Wetterwechsel konnte genauso in wenigen Minuten geschehen und der Sturm abziehen, wie er gekommen war. Darauf sollten sie bauen.
»Das geht nicht!«, erklang Lauras helle Stimme über das Pfeifen und Brausen. »Ihr wisst genau, dass wir dann verloren haben! Wir dürfen nicht nachgeben, unter keinen Umständen!«
Das sagte sich leicht. Der Sturm wurde immer stärker, warf sich mit Wucht gegen sie, sodass sie nur noch auf allen vieren vorwärtskamen und den Kopf einziehen mussten, um nicht von einem Stoß zurückgeworfen zu werden und den Hang hinunterzurollen.
Der Sturm steigerte sich zu einem dröhnenden Orkan, es blitzte und krachte in kurzen Abständen. Es war inzwischen fast finster, und die Blitze stanzten stakkatoartig Leuchtfelder in die Landschaft, die verzerrte Schattenbilder erzeugten. Der Donner gab ein gewaltiges Konzert an Bersten, Krachen, Knallen, Grummeln und Röhren. Dazu pfiff der Sturmwind seine schrille Melodie, steigerte sich zum Orkan und schwoll wieder ab. Eine Sturmoper.
Dann öffneten die Wolken ihre Schleusen, und schwerer Regen platschte herab. Er durchweichte die Kleidung innerhalb weniger Sekunden und peitschte wie eine Flutwelle ins Gesicht, sodass sie nur noch atmen konnten, wenn sie den Kopf senkten.
»Das ist Wahnsinn!«, rief Milt. »Laura, wir müssen umkehren! Wir müssen besseres Wetter abwarten!«
Sie befand sich gerade direkt über ihm, kurz vor einer weiteren Kurve. Der Weg zeichnete sich nur noch schwach als helles Band ab. Man konnte fast die Hand nicht mehr vor Augen sehen, so dicht war der Regenvorhang.
Laura beugte sich zu ihm hinab. »Wenn wir das tun, haben wir verloren!«, wiederholte sie. »Es gibt keinen zweiten Versuch für uns, das weißt du genau!«
»Du meinst, das ist nicht natürlichen Ursprungs?«, schrie Finn durch das Rauschen und Brausen hindurch. Er schüttelte den Kopf und spuckte eine Ladung Wasser aus.
»Nichts hier ist natürlichen Ursprungs!«, gab Laura zurück. »Die Magie nutzt die Möglichkeiten der Natur für sich aus! Das ist allein gegen uns gerichtet, glaubt mir! Sobald wir umdrehen, wird alles wieder freundlich und friedlich sein!«
»Wenigstens eine Pause ...«, keuchte Milt. »Lass uns zusammen vorwärtskämpfen, wir müssen uns stützen! Wenn du den Halt verlierst, ist es aus! Du wirst bis zum Fuß des Hanges hinunterschlittern, und das überlebst du nicht!«
»Ich werde nicht stürzen!«, gab sie laut schreiend zurück, damit er sie verstehen konnte. »Ich habe es mir geschworen, dass ich nicht ohne den Dolch zurückgehe, und das werde ich durchhalten! Ich gebe nicht nach, ich gebe nicht auf, ich gehe weiter!«
Damit drehte sie sich um und kämpfte sich auf Händen und Füßen weiter, während rings um sie die Blitze einschlugen, Gestein und Sand hochspritzen ließen und rauchende Löcher bohrten, die sich im Nu mit Wasser füllten. Das Wasser kam ebenfalls von überall, schoss in Bächen und kleinen Wasserfällen den Hang herunter und machte ein Vorwärtskommen immer unmöglicher.
Milt und Finn sahen Lauras dunkle Silhouette, immer wieder von Blitzschlägen erleuchtet, wie sie sich dennoch weiter hinaufarbeitete, unerbittlich, unermüdlich.
»Laura!«, rief Milt. »Lauraaaa!« Er versuchte weiterzukriechen, doch der Sturm stemmte sich mit einer solchen Gewalt gegen ihn, dass er es nicht schaffte. Er schrie weiter nach Laura, aber sie konnte ihn längst nicht mehr hören, sie war zu weit entfernt.
Finn sank erschöpft neben dem Bahamaer nieder. Sie duckten sich beide dicht an den Hang und ließen den Sturm über sich hinwegbrausen. Hier unten war es sogar einigermaßen geschützt, solange sie sich ganz flach machten. »Lass es sein, Milt«, keuchte er dicht an seinem Ohr. »Wir können sie nicht mehr erreichen. Ihr Wille ist stärker als unserer ...«
»Aber wie kann das sein?«
»Weil sie, glaube ich, noch nie in ihrem Leben etwas so sehr haben wollte wie den Dolch. Sie quält sich mit Schuldgefühlen und will ihren Fehler wiedergutmachen.«
»Aber sie hat doch keinen Fehler begangen ...«
»Sie empfindet dennoch so. Es nagt an ihr. Und sie hat genau wie du und ich unseren nahenden Tod, den wir am Horizont schon erkennen können, vor sich. Also sagt sie sich: Jetzt
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