Meister der Stimmen: Roman (German Edition)
Land bin ich nichts. Ein heimatloser Geist ist nicht besser als ein Gespenst.«
»Du gehst dorthin, wo alles Wasser letztendlich hingeht«, sagte Eli sanft. »In den Ozean.«
»Der Ozean?« Das Licht im Herzen des Geistes flackerte wild. »Nicht dorthin. Ich werde lieber sterben, bevor ich dorthin gehe. Du wirst mich vorher umbringen müssen.«
»Warum hast du solche Angst?«, fragte Eli. »All dein Wasser war schon Tausende Male im Ozean.«
»Aber er nicht.«
Eli seufzte und drehte sich zu Miranda um, die mühsam auf ihn zuhumpelte. Ihr Gesicht war bleich und erschöpft, und frische, gelbe Prellungen leuchteten auf ihrer feuchten Haut. Ihre Augen allerdings wirkten entschlossen, als sie sich schwer atmend neben dem Dieb auf den Boden fallen ließ.
»Wassergeister fließen ineinander und durcheinander«, keuchte sie. »Der Regen fällt und formt Bäche, die in Flüsse fließen und schließlich, wie du gesagt hast, in den Ozean, aber«, sie sah zu dem langsam wirbelnden Wasser auf, »ein Meer ist mehr als das Wasser, das es enthält. Selbst die kleinsten Bäche haben ihre eigenen Seelen, die getrennt sind von dem Wasser, das sie erfüllt. Du kannst diese Seele nicht einfach unbekümmert losschicken, damit sie sich alleine im Ozean durchschlägt.«
»Sie spricht die Wahrheit«, rumpelte Mellinor. »Der Ozean ist eine hungrige Masse, zu groß, um eine einzige, zusammenhängende Seele zu haben. Sobald ich mich seinen Wellen anschlösse, würde mich der Mob aus Wassergeistern zerreißen. Sie würden mich mit jeder Flut in immer kleinere Stücke reißen, und mit jedem verlorenen Stück würde ich schwächer und dümmer, bis ich mich nicht einmal mehr an meinen eigenen Namen erinnern könnte.«
Eli schüttelte den Kopf. »Aber du wärst noch am Leben.«
»Zu welchem Zweck?« Mellinors Licht blitzte auf, und der Wasserball waberte. »Ich wäre schlimmer als ein Gespenst. Zumindest kann ich als ich selbst sterben, wenn ich hier vertrockne, mit einer Seele, die vollständig und nur die meine ist.«
»Ziehst du das wirklich vor?«
Die Kugel wippte in einer Bewegung, die an ein entschlossenes Nicken erinnerte. »Wenn du mir mein Land nicht gibst, dann ja.«
Eli dachte einen Moment nach, dann nickte er ernsthaft. »In Ordnung, dann machen wir es so.«
Miranda sah entsetzt zu Eli auf. »Du kannst ihn nicht einfach töten.«
»Er will es doch so!«, schrie Eli und wirbelte zu ihr herum. »Hast du denn nicht zugehört? Wieso interessiert es dich überhaupt? Soweit ich mich erinnere, war er gerade damit beschäftigt, dich zu töten, als ich mich eingemischt habe.«
»Er ist unseretwegen in dieser Situation!«, schrie Miranda zurück. »Hätte es Gregorn nicht gegeben, wäre nichts von alldem passiert. Wir haben die Pflicht, die Dinge in Ordnung zu bringen!«
»In Ordnung bringen?« Eli spreizte die Arme und schloss den gesamten zerstörten Thronsaal in die Bewegung ein. »Miranda, sieh dich doch um! Glaubst du, die Meister von Mellinor werden glücklich sein, wenn wir ihnen sagen, dass ihr gesamtes Königreich umziehen muss? Glaubst du, sie werden uns überhaupt zuhören? Selbst wenn sie es tun, wie lange würde es dauern, alle in Sicherheit zu bringen? Eine Woche? Einen Monat? Was soll Mellinor tun, während er wartet? Einfach hier in der Luft hängen? Er wird verdampfen, bevor die Meister auch nur ihre Sitzung beendet haben. Du weißt genauso gut wie ich, dass ein vertriebener Geist genau zwei Möglichkeiten hat: ein neues Zuhause finden oder sterben. Mir gefällt die zweite Möglichkeit kein bisschen besser als dir, aber hier gibt es keinen Platz für ihn, und er will nicht in den Ozean – was mein Kompromissvorschlag war. Also, wo stehen wir dann?« Eli verschränkte die Arme und starrte böse auf Miranda hinunter. »Er hat seine Wahl getroffen, also könntest du einmal dein spiritistisches Dogma beiseite- und dem Geist einfach seinen Willen lassen.«
Miranda kämpfte sich auf die Beine und schüttelte wütend die Fäuste. »Ich werde nicht zulassen, dass du ihn tötest.«
Eli erwiderte ihren wütenden Blick, und für einige Sekunden standen sie einfach da, wie Kinder, die ein Wettstarren austragen. Schließlich wurde klar, dass sie nicht nachgeben würde, und Eli winkte genervt ab.
»Schön«, sagte er. »Wenn du dir solche Sorgen machst, dann kümmere du dich doch um ihn.«
Miranda blinzelte; das hatte sie nicht erwartet. »Ich weiß nicht, was ich tun soll.«
Eli deutete mit beiden Armen auf sie, als
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