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Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel

Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel

Titel: Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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arbeitete. Doch es war groß genug, um ganze Absätze zu enthalten. In der Ferne hörten wir, daß seine Frau und ihre sieben dicken Schwestern in die Litanei der Ahne eingestimmt hatten. Kopf ab! Kopf ab!« heulten sie, und Hahnrei Ho überlegte, ob seine Freude nicht vollständig gemacht werden könnte.
    »Li Kao, seid Ihr auf Euren Streifzügen durch den Sommersitz auf noch mehr alte Brunnen gestoßen?« erkundigte er sich hoffnungsvoll.
    »Ich würde zum Beil greifen«, sagte Meister Li. »Ein Beil! Ja ein Beil, natürlich!«
    Wir schlugen den Weg zu dem alten Brunnen und der Mauer ein. Li Kao stieß den Schrei einer Eule aus, und ein Hund antwortete, indem er dreimal bellte und einmal heulte. Wir verabschiedeten uns von Hahnrei Ho - ich unter Tränen -, und Li Kao hüpfte auf meinen Rücken. Die vermauerte Tür war jetzt ein geschickt bemaltes Stück Leinwand; ich zog sie beiseite und raste durch den leeren Gang. Als ich die Strickleiter an der Innenseite der äußeren Mauer hochkletterte und einen Blick zurückwarf, sah ich, daß Hahnrei Ho das kostbare Tontäfelchen in der einen Hand hielt und mit der anderen ein imaginäres Beil schwang.
    »Hack-hack-hack!« sang er glücklich. »Hack-hack-hack... hack-hack-hack!«
    Die Nebelschwaden verschluckten ihn, und ich kletterte rasch auf der anderen Seite hinunter zu Eierabschneider Wang und seinem Abschaum der Erde, die dort auf uns warteten. Sie hatten seit zwanzig Jahren keinen solchen Glücksfall wie das Begräbnis von Jungfer Ohnmacht erlebt und flehten Meister Li an, ihr Anführer zu werden. Wir hatten jedoch andere Dinge zu tun. Ich machte mich wie der Wind auf den Weg, rannte über die Hügel zu dem Dorf Ku-fu, während Meister Li auf meinem Rücken saß und die Wurzel der Macht umklammerte.
     

11.
Ich will dir eine Geschichte erzählen
     
    Es war früh am Nachmittag, und Staub tanzte in den Sonnenstrahlen, die durch das Fenster in das Kloster drangen. Es herrschte völlige Stille, und man hörte nur die leisen Geräusche von Li Kao und dem Abt, die mit der Zubereitung der Essenz beschäftigt waren, und das Zwitschern von Vögeln, das der sanfte Wind hereintrug. Die Kinder hatten seit unserem Weggehen nicht einmal mit der Wimper gezuckt. Die Bonzen konnten nicht mehr für sie tun, als sie zu waschen und in regelmäßigen Abständen ihre Lage zu verändern. Es fiel schwer zu glauben, daß sich in den kleinen, blassen Körpern immer noch schwach die Lebensgeister regten.
    Unter einer Phiole mit brodelndem Zuckerwasser, in das Meister Li die Wurzel der Macht gelegt hatte, brannte eine kleine bläuliche Flamme. Das Wasser färbte sich allmählich orange, und die Ginsengwurzel nahm einen kupferfarbenen Orangeton an und wirkte beinahe so durchscheinend wie Bernstein. Meister Li legte die Wurzel in eine andere Phiole, die mit mildem Reiswein gefüllt war. Der Abt erhitzte die Flüssigkeit, und während sie langsam verdampfte, ersetzte sie Meister Li durch die orangefarbene Flüssigkeit aus der ersten Phiole. Der Flüssigkeitsspiegel sank, bis kaum noch die Wurzel bedeckt war. Dann färbte sich das Konzentrat Safrangelb. Meister Li verschloß die Phiole und legte sie in einen Topf mit kochendem Wasser. Flüssigkeit und Wurzel wurden erst orangeschwarz und dann pechschwarz. Nur wenig Flüssigkeit befand sich noch in der Phiole. Meister Li hob das Glas aus dem Topf. Er öffnete den Verschluß, und ein unglaublich frischer, würziger Duft erfüllte den Raum wie eine ganze Wiese voller Bergkräuter nach dem Regen.
    »Das wäre es«, sagte er, »und jetzt werden wir sehen, was wir sehen.«
    Der Abt und Li Kao gingen von Bett zu Bett. Der Abt teilte die Lippen der Kinder, und Li Kao tauchte die schwarze Wurzel in die Flüssigkeit und ließ behutsam drei Tropfen auf jede Zunge fallen. Die Behandlung wurde dreimal wiederholt. Die Ginsengessenz reichte dafür gerade aus.
    Wir warteten. Der sanfte Windhauch trug die Geräusche von Kühen, Hühnern und Wasserbüffeln herein; Weiden streiften mit ihren Ästen die grauen Steinmauern, und im Garten hämmerte der Specht. Die Farbe kehrte in die blassen Gesichter zurück. Die Bettdecken begannen, sich unter den kräftigen, regelmäßigen Atemzügen zu heben und zu senken, die Gliedmaßen schimmerten wieder rosig. Fangs Reh seufzte, und auf dem Gesicht von Porzellanpuppe lag ein strahlendes Lächeln. Alle Kinder lächelten glücklich, und mit einem Gefühl der Demut und Ehrfurcht begriff ich, daß ich Zeuge eines medizinischen

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