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Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel

Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel

Titel: Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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Soldaten schoben mich vorwärts. »Lord Lu von Yu. Er hat die Geldbuße für die Störung der öffentlichen Ordnung nicht bezahlt. Das Urteil lautet: Tod!« brüllte der Offizier. Man trat mir gegen die Beine, und mein Hals landete ordentlich auf dem Richtblock. Aus dem Becken blickten die ironischen Augen von Shengt'an zu mir auf, und während der Bonze das Gebet murmelte, versuchte ich mir einen Satz auszudenken, der mir einen ebenso würdigen Abgang verschaffen würde wie ihm. »Habt Ihr noch etwas zu sagen?« fragte der Offizier. Ich war nur Nummer Zehn der Ochse, und so hob ich den Kopf und brüllte dem Herzog von Ch'in zu: »Ich hoffe, mein Blut wird dich von oben bis unten besudeln, du Sohn einer Sau!« Merkwürdigerweise fühlte ich mich danach sehr viel besser, und der süßliche Blutgeruch würgte mich nicht länger.
    Zu meinem Erstaunen hob der Herzog die Hand, und der Henker ließ das Beil sinken. Er winkte, die Soldaten zerrten mich hoch und schleppten mich so dicht vor den Thron, daß mein Gesicht beinahe die Tigermaske berührte. Ganz sicher interessierte sich der große und mächtige Herzog von Ch'in nicht für Nummer Zehn der Ochse! Das tat er auch nicht. Er interessierte sich für das, was Lotuswolke mir über den Kopf geworfen hatte. Er streckte die Goldkettenfinger der rechten Hand aus und berührte es. Dann beugte er sich vor, und ich spürte, wie sich die Augen hinter den Sehschlitzen der Maske in die meinen bohrten. Mit einem Gefühl des Entsetzens wurde mir klar, daß er durch meine Augen hindurch und mir direkt ins Gehirn blickte! Eine metallische Stimme drang durch die Mundöffnung. »So, die Frau meines Steuereinnehmers hat dir das gegeben«, flüsterte der Herzog. »Er wird seine unbedachten Worte büßen.« Ich spürte, wie sein Geist suchend, spähend und prüfend über meinen Geist hinwegkroch. »Du weißt nicht, was es bedeutet«, flüsterte er, »du weißt nichts von Bedeutung. Ich sehe einen dummen Abt und Kinder, deren Tod dazu dient, die Überbevölkerung zu verringern. Ich sehe einen Geist, der mit Schwertern tanzt, und ich sehe deinen uralten Begleiter tanzen und singen. Ich finde kein Bewußtsein von wichtigen Dingen, und obwohl du die richtige Ginsengwurzel suchst, tust du es aus dem falschen Grund.« Die schreckliche Tigermaske hob sich. »Soldaten, fahrt mit der Hinrichtung fort«, befahl der Herzog von Ch'in.
    Meine Finger hatten unbewußt weiter mit dem Dietrich herumgefummelt, und plötzlich spürte ich, wie das Schloß an den Handschellen sich öffnete.
    »Meister Li!« brüllte ich, riß die Hände auseinander und schlug den Soldaten mit den Handschellen ins Gesicht. Er hatte seine Hände bereits befreit und brachte den Henker, der auf mich zustürzte, mit der Kette seiner Handschellen zu Fall. »Gib's ihm, Ochse!« schrie Meister Li.
    Ich packte das Beil, wirbelte herum und schlug mit aller Macht zu. Zu meinem Erstaunen prallte die riesige Klinge von dem leichten Federumhang des Herzogs ab, als habe sie gegen den härtesten Stahl geschlagen. Meine Hände wurden von dem Aufprall gefühllos. Ich fluchte und holte noch einmal aus. Diesmal hatte der Herzog nicht soviel Glück. Das Beil drang ihm in die Brust, bis ins Herz, und ich drehte mich um und erwartete meinen Tod durch die Soldaten wie ein Mann. Aber was ich sah, ließ mich an meiner Vernunft zweifeln.
    Die Soldaten lachten. Die Würdenträger lachten. Der Bonze lachte. Der Henker stand auf und lachte ebenfalls. Völlig verwirrt drehte ich mich um, und auf dem Thron saß der Herzog von Ch'in mit dem riesigen Beil im Herzen und lachte!
    »Ihr zwei, der junge Narr und der alte Narr, taugt zu nichts anderem als zum Spielen und Ballwerfen! Also gut, spielen wir ein Spiel«, spottete er. Seine Finger schlössen sich um eine Verzierung an der Armlehne des Throns. Die Soldaten um uns herum suchten das Weite. »Ihr sucht die Große Wurzel der Macht? Sie kann gefunden werden, also findet sie.«
    Plötzlich verschwand der Boden unter unseren Füßen.
    Wir fielen, fielen, fielen kopfüber in die Dunkelheit - und als ich schon glaubte, ich würde ewig weiterstürzen, landete ich plötzlich in eiskaltem Wasser. Ich tauchte wieder auf und spuckte Salzwasser aus. »Meister Li!« rief ich. »Direkt hinter dir«, keuchte er.
    Li Kao griff nach meinem Gürtel. In der Ferne flackerte ein Licht. Wir waren in einem Teich von ungefähr fünfzig Fuß Durchmesser gelandet. Ich schwamm an den Rand und kletterte auf einen glatten flachen

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