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Meister Li und der Stein des Himmels

Meister Li und der Stein des Himmels

Titel: Meister Li und der Stein des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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freien Lauf. Die Fackel wirbelte über die
Schlucht und flog durch das Fenster in das Atelier des Prinzen. Ich glaubte,
sie sei ausgegangen, aber ich irrte mich. Öl und Terpentin entzünden sich
leicht, und schon loderten die Flammen auf. »Seid unbesorgt«, beruhigte Meister
Li den Prinzen. »Jeder wahre Künstler weiß, daß ein Meisterwerk ein Zufall ist,
und daß man es verbrennen sollte. Wer Vollkommenheit liebt, begeht kreativen
Selbstmord. Außerdem sind Eure hübschen Bilder nicht dazu da, um darin zu
schwelgen, sondern um daraus zu lernen, und Ihr habt bereits gelernt .« Meister Li griff nach dem Weinschlauch und trank einen
großen Schluck. »Ich billige Euer Ziel allerdings nicht ganz«, sagte er.
»Chuang Tzu war einer der früheren Besitzer des Steins. Er hatte einen Schüler,
der sich sieben Jahre lang dem Studium der universellen Kraft widmete, und dann
das gefundene Wissen unter Beweis stellte, indem er über einen Fluß ging.
Chuang Tzu brach in Tränen aus. 0 mein Junge, schluchzte er, mein
armer, armer Junge. Du hast sieben Jahre deines Lebens darauf verwendet, das zu
lernen. Dabei fährt der alte Meng kaum zwei Meilen weiter unten schon die ganze
Zeit mit seiner Fähre über den Fluß und nimmt dafür nur zwei Kupfermünzen.
« Meister Li legte den Weinschlauch ins Gras. »Außerdem kann Levitation
sehr ungesund sein, wenn man an den Halt eines Steins gewöhnt ist«, fügte er
hinzu. Aus dem Atelier schlugen die Flammen. Prinz Liu Pao weinte. Er drehte
sich um, streckte die Arme aus und wollte zu seinen Bildern laufen. Plötzlich
schrie er entsetzt auf und blieb stehen. Ich sah, wie sich seine Beine langsam
spreizten, als teile sich das Kraftfeld in zwei Bahnen. Er sah sich unsicher
um. Sein weißes, angstvolles Gesicht richtete sich auf mich.
    »Ochse? Wo geht es entlang?
Wo ist der Weg ?«
    »Prinz, ich sehe ihn nicht
mehr !« rief ich ihm zu. »Ich sehe
    nur Luft!«
    Seine Beine spreizten sich
weiter. Im nächsten Moment würde er fallen. Er schrie auf und sprang nach
links. Er landete wieder auf einem Kraftfeld und lief los. Er machte zwei
Schritte, aber nicht den dritten, und manchmal sehe ich im Traum immer noch einen
schreienden Staubwedel, der sich überschlägt und überschlägt, während Prinz Liu
Pao in den Abgrund stürzt. Ich höre das spöttische Echo der Felswände und dann
das schreckliche Klatschen eines Körpers, der tief unten auf die Felsen
schlägt.
    Meister Li ging zum Rand
der Schlucht und blickte hinunter. »Schade«, sagte er, »er war wirklich begabt.
Genau der richtige Mann, um Tischkarten auszumalen.«
    26.
    Der Boden der Schlucht kam
mir entgegen, und ich preßte den Kopf zwischen die Knie, bis sich mein Magen
wieder beruhigt hatte. Mondkind saß neben Klagende Morgendämmerung und hielt
ihre leblose Hand. Meister Li drehte dem Abgrund den Rücken und schüttelte
angewidert den Kopf -aber das hatte nichts mit dem Prinzen zu tun. »Wenn jemand
an mir eine Autopsie durchführt und den Schädel öffnet, wird eine als Gehirn
getarnte Rübe zum Vorschein kommen«, brummte er mißmutig. »Dieser verrückte
Fall ist mir immer noch nicht klar .«
    Ich starrte ihn fassungslos
an. Sogar Mondkind hob erstaunt den Kopf.
    Meister Li zuckte mit den
Schultern. »Wir müßten den Verstand von Tausendfüßlern haben, um nicht darauf
zu kommen, daß es bei diesem Fall nur ganz nebenbei um Menschen geht. Wichtig
ist ein Stein .« Er verschränkte die Hände auf dem
Rücken und ging auf und ab. Plötzlich blieb er stehen und blickte wütend zum
Himmel auf. »Wie zum Teufel könnt ihr von dummen Menschen erwarten, daß sie verstehen ?« schrie er ehrfurchtslos und ging
weiter auf und ab. »Die Alten haben den Versuch aufgegeben zu verstehen«,
murmelte Meister Li. »Sie hatten ein paar tausend Jahre lang beobachtet, wie
das Feuer festes Holz in immaterielle Wärme und Licht verwandelte, ehe sie das
erste Gesetz des Taoismus formulierten: Es gibt nichts Festes. Fünf
Jahrhunderte später formulierten sie das zweite Gesetz: Alle Materie besteht
aus gebündelter reiner Energie, genannt Ch'i, die Lebenskraft
    und Shih, die
bewegende Kraft. Es vergingen weitere fünf Jahrhunderte, und nach dem dritten
Gesetz hoben sie die Hände und gaben auf .« Er blieb
stehen und grinste uns an.
    »Ihr könnt es glauben oder
nicht, aber es ist etwas daran«, sagte er. »Ochse und unser toter Freund haben
wunderbar das erste und das zweite Gesetz veranschaulicht, indem sie ihr Ch'i und ihr Shih dem

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