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Meister Li und der Stein des Himmels

Meister Li und der Stein des Himmels

Titel: Meister Li und der Stein des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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tun, denn was für eine Anlage konnte der
Lachende Prinz insgeheim in den Tiefen der Erde bauen lassen? Mein lieber
Junge, wir sitzen vermutlich auf einem Grab, in dem genug Beutestücke liegen,
um damit das halbe Reich zu kaufen .« 8.
    »Diese verlassenen
Zimmerfluchten waren für einen Jungen ein Paradies«, sagte der Prinz wehmütig.
»Allein die vielen Verstecke. Ich zählte einmal einhundertsechs Räume, und
viele waren voller Dinge, die niemand für wertvoll hielt. Für einen Jungen
nicht wertvoll? Truhen mit alten Kostümen für Maskeraden, zum Beispiel, und
Liebesbriefe, die mit Aufforderungen zum Duell zusammengebunden waren, Bilder
schöner Konkubinen und strenger, entfernter Vettern.« Wir folgten ihm, als er
zielsicher um verfaulte Stellen im Holzfußboden herumging und sich unter
durchhängenden Deckenbalken duckte. Er trat in einen Alkoven und begann,
Bretter vor einem Fenster zu entfernen. Sonnenlicht drang herein, und die
Strahlen fielen auf ein Porträt an der Wand. »Liu Sheng, besser bekannt als der
Lachende Prinz .« Die Seide war unversehrt, wenn auch
durch die Zeit verblaßt, und die Farben wirkten noch ziemlich frisch. Der Mann
auf dem Bild sah gut aus. Ich schätzte ihn auf Anfang Dreißig. Er hatte eine
hohe, breite und klare Stirn, eine schmale Nase mit einem stolzen Haken und
einen energischen, gutgeformten Mund. Die Augen waren merkwürdig, denn sie
wirkten zwar klar, schienen sich aber nicht auf ein Ziel zu richten. Der
Lachende Prinz schien nicht den Betrachter anzublicken, sondern etwas vor dem
Betrachter - vielleicht einen Geist, oder eine seltsame Vision, die nur er
sehen konnte. Die kleinen Hände waren so anmutig, daß es beinahe die Hände einer
Frau hätten sein können. Ich entdeckte keine Anzeichen von Wahnsinn, doch etwas
in der Selbst-
    Sicherheit seiner Haltung
sprach von einer inneren Überheblichkeit, die beinahe zu allem fähig war. Seine
Kleidung war eindeutig symbolisch, aber ich verstand die Bedeutung nicht.
Meister Li schon.
    »Großer Buddha. Wenn sein
kaiserlicher Bruder ihn in diesem Gewand gesehen hätte, hätte er ihm innerhalb
einer Stunde den gelben Schal geschickt«, sagte Meister Li. »Der Sohn einer
Drecksau glaubte, er rangiere vor dem Kaiser. Genauer gesagt, glaubte er, er
rangiere vor den meisten Göttern .«
    Meister Li erklärte mir die
Symbole.
    »Obergewand: Sonne, Mond,
Sterne, Berg, Drachen und bunte Vögel. Untergewand: Tempelschale,
Unterwassergräser, Flammen, Reis, Beil und das Symbol für Adel. Nur der Kaiser
von China darf alle zwölf Symbole tragen, und der Lachende Prinz fügte noch ein
dreizehntes hinzu: das Pfauenauge. Es symbolisiert den Zweiten Herrn des
Himmels. Man muß annehmen, er bereitete sich allen Ernstes darauf vor, seinen
Thron neben den des Erhabenen Jadekaisers zu stellen .«
    Jetzt gewann der seltsam
ziellose Blick für mich eine andere Bedeutung. Ich kam zu dem Schluß, der Mann
vor mir habe festgestellt, daß die Welt nicht nach seinem Geschmack war und
habe sie verlassen - wie Erbsenkopf Chou aus meinem Dorf, der sich jeden Morgen
zu den Hähnen stellte und der Sonne befahl aufzugehen.
    Der Prinz führte uns
weiter. Ich bemerkte, daß ich auf Zehenspitzen ging und daß mir die gemalten
Augen zu folgen schienen. Der Prinz trat zu einer messingbeschlagenen Tür und
schloß sie mit einem alten Schlüssel von der Länge seines Unterarms auf. »Wie
gesagt, das hier war ein Paradies für einen Jungen«, bemerkte er.
    Wir traten in die alte
Waffenkammer. Wahrhaftig ein Paradies, und manche der Äxte waren so riesig, daß
sie nur zeremonielle Funktion gehabt haben konnten. In Gestellen entlang der
Wände hingen zahllose Waffen; wir fanden einige, die besser waren als jede
moderne Waffe. Ich entschied mich für eine kleine Axt und ein kurzes Schwert, der
Prinz wählte einen Speer und einen Dolch, und Meister Li steckte sich ein paar
Messer in den Gürtel. Die nächste Tür öffnete sich in einen Innenhof, und ich
entdeckte im Werkzeugschuppen einen modernen Stahlpickel und eine Brechstange.
In der Mitte des Hofs stand ein Steinhaus über einem nicht mehr benutzten
Brunnen. Steintreppen führten hinunter in die Keller.
    »Der alte Kühlraum liegt
ganz unten«, sagte der Prinz. »Ich bezweifle, daß jemand dort gewesen ist, seit
ich den Helden gespielt habe, der in einem schrecklichen Kerker
gefangengehalten wird .«
    »Wir hoffen, daß niemand
unten gewesen ist«, murmelte Meister Li. Er suchte nach Spuren von Besuchern
aus neuerer

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