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Meister Li und der Stein des Himmels

Meister Li und der Stein des Himmels

Titel: Meister Li und der Stein des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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die Augen.
Ich hielt sie geschlossen, während ich hörte, wie alte Knochen splitterten,
aber ich öffnete sie zu früh und sah, wie der Stein auf den Schädel fiel, und
er in Stücke zerbrach. Eine weiße Wolke gesplitterter und pulverisierter
Knochen trieb ins Tal hinunter, gefolgt von den Fetzen der Leinenbinden und
schließlich von dem Stein, der für das Opfer benutzt worden war. Ich habe
selten jemanden so sehr bewundert wie den Prinzen Liu Pao. Er drehte sich um,
und es gelang ihm, seine Stimme unter Kontrolle zu haben.
    »Nach dem Tsao Tsao ist
mein nächster Schritt auf dem Pfad zur Verdammnis entweder die Vergewaltigung
meiner Schwester oder die Unterlassung, zum Begräbnis meiner Mutter zu
erscheinen. Ich weiß nur nicht mehr, was zuerst kommt«, sagte er.
    »Die Mutter«, sagte Meister
Li, »hat Vorrang, aber an Eurer
    Stelle wäre ich mir der
Sache mit der Verdammnis nicht so sicher. Prinz, diesmal haben die Gauner einen
sehr schweren Fehler begangen, und die Mumie Eures Ahnen besiegelt das. Ihr und
ich, wir müssen uns über etwas Interessantes unterhalten .«
    7.
    Beim ersten Besuch hatten
wir die Wohnräume gesehen. Jetzt führte uns der Prinz in sein Atelier, und mir
stockte der Atem, als ich durch die Tür und in vierzig eingefangene
Sonnenuntergänge trat. Ich befand mich in der Gegenwart eines Genies. Überall
Gemälde und Skizzen, und sie lebten! Ich hätte schwören können, daß wirklicher
Saft in den gemalten Bäumen floß und echter Tau von Blüten tropfte. Das
glühende Licht, das aus dem Innern der Bilder zu kommen schien, war das
Außergewöhnlichste. Der Prinz lächelte über mein Staunen.
    »Es ist nur ein Trick,
Ochse«, sagte er bescheiden, »man nennt es p'o-mo, und es ist die
Technik, dunkle Tusche über helle aufzutragen. Beim Auftragen ist die Wirkung
kaum sichtbar, aber wenn die Tusche trocken ist, entsteht der Eindruck, als
glühten die Bilder in einem inneren Licht - wie strahlende Augen«, sagte mein
Lehrer immer. »Aha! Ihr habt bei Dreimal Unvergleichlich studiert ?« fragte Meister Li.
    »Li Kao, Ihr wißt alles«,
sagte der Prinz bewundernd, »ja, ich war drei Jahre lang sein Schüler. Und er
war zweifellos der ekelhafteste Mensch, dem ich je begegnet bin .« Der Prinz bezog mich huldvoll in die Unterhaltung ein.
»Er heißt Ku K'ai-chih, aber man nennt ihn Dreimal Unvergleichlich, weil er
sich damit brüstet, daß er ein unvergleichlicher Maler, ein unvergleichliches
Genie und ein unvergleichlicher Dummkopf ist. Fraglos ist er der größte Meister
des p'o-mo im ganzen Reich .« »Das war er. Ihr
habt ihn seit langem übertroffen«, murmelte Meister Li, »Prinz, das sind
unglaubliche Arbeiten, aber habt 1 hr auch die Wahrscheinlichkeit von Ungnade
und Exil in Be-1 rächt gezogen ?«
    »Oh, ich habe nicht die
Absicht, meine Bilder jemandem zu /.eigen«, sagte der Prinz, »das sind alles
Übungen. Ich versuche zu lernen, und ich habe noch einen langen Weg vor
    mir.«
    Die Umgebung seines
geliebten Ateliers wirkte Wunder. Es war, als habe der Geruch von Farben die
Erlebnisse der letzten Zeit ausgelöscht. Seine Augen glänzten glücklich.
»Ochse, Meister Li will damit sagen, daß unsere hohen Herren entschieden haben,
daß die Kunst sich an angeblich klassische Techniken halten muß, die in einem
Handbuch mit dem Titel Der Senfkorngarten niedergelegt sind«, erklärte
er. »Die Konturen von Felsen zum Beispiel darf man nur mit /coM-Strichen
zeichnen, p'o-Striche sind den Spitzen und Seiten vorbehalten, fs'wng-Striche
muß man für die Struktur und fs'a-Striche für den Ausdruck verwenden. Jede
andere Technik kann zu einem Prozeß und zur Verbannung führen .« Meister Li lachte über meinen Gesichtsausdruck. »Es ist noch komplizierter«, sagte
er. »Ts'ung- Striche zum Beispiel sind genau in einzelne Linien
gegliedert, die für die einzelnen Felsen richtig sind: Wirbelwolkenstriche,
Axtschläge, geschlagener Hanf, loses Tau, Geistergesicht, schädelähnlich,
Holzstoß, Sesamkorn, goldblau, Jadepulver, Speerloch, Kiesel und knochenlos.
Ein Maler, der einen Granit zeichnet und Geistergesicht anstelle der offiziell
genehmigten Axtschläge benutzt, muß mit sechs Jahren in der mongolischen Wüste
rechnen .«
    Der Prinz sagte stolz mit
einer großen Geste: »Du siehst etwa eineinhalb Millionen Jahre Verbannung vor
dir .« Er wurde sehr lebhaft, suchte eifrig in einem
Stapel Bilder auf dem Fußboden und hielt schließlich die einfache Skizze eines
Baums hoch. »Gesetze lügen«,

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