Meister Li und der Stein des Himmels
Zeit, und seine Augen leuchteten, als er die dicke unberührte
Staubschicht sah.
Ich hatte ein paar Fackeln
mitgebracht, und wir zündeten sie an. Der Prinz wollte vorausgehen, aber ich
überholte ihn. »Ich bitte vielmals um Verzeihung, Hoheit, aber dafür bin ich
da«, sagte ich höflich. Mit dem Beil in der Hand stieg ich die Treppe nach
unten. Der Prinz, dachte ich, muß ein sehr tapferer kleiner Junge gewesen sein,
denn ich konnte einen Schauder nicht unterdrücken, als ich dicke Spinnweben
durchhieb, die wie Decken vor uns hingen, und zahllose Spinnen über meine Hände
und Arme huschten. Dann griffen mich hundert Dämonen an, nein, Fledermäuse,
nein, weiße Fledermäuse. Ich stieß einen Schrei aus, kauerte mich auf die Stufe
und bedeckte den Kopf mit den Händen. Als ich vorsichtig die Augen wieder
öffnete, sah ich, daß Meister Li ruhig hinter mir stand und mich mit einer
Mischung aus Gereiztheit und Belustigung betrachtete. »Nummer Zehn der Ochse,
es ist kein Wort von dem wahr, was Bauernlegenden über weiße Fledermäuse
berichten«, bemerkte er trocken. »Es sind nicht einmal Albinos. Sie leiden an
einer parasitären Hauterkrankung wie die sogenannten weißen Elefanten in
Indien, und sie leben nicht tausend Jahre, und ihr schwarzes Blut ist nicht ein Lebenselixier, und wenn du sie streifst oder sie dich streifen,
fallen dir nicht die Haare aus.«
Der Prinz lächelte mich
aufmunternd an. »Als kleiner Junge habe ich einige gefangen und sie als
Haustiere gehalten«, sagte er. »Sie sind unhygienisch, mehr aber auch nicht .« Er fuhr sich mit der Hand durch die dichten struppigen
Haare, und ich nahm verlegen die Hände vom Kopf. Ich stand auf, nahm wieder
meine Axt und die Fackel und stieg weiter nach unten. Ich kam mir sehr töricht
vor. Es gab vier Treppenabsätze, und die Stufen endeten schließlich in einem
riesigen Kühlraum. Meister Li und der Prinz untersuchten den Felsboden und die
Wände nach Zeichen für einen Geheim-gang. Während ich sie beobachtete, wurde
ich wieder fröhlicher. Schließlich richtete sich Meister Li auf, stemmte die
Hände in die Hüften und sah mich mit funkelnden Augen an.
»Warum stehst du wie eine
Statue da«, knurrte er. »Du müßtest etwas vom Tunnelgraben verstehen. Find das
verdammte Ding .«
Es war kindisch, aber ich
brauchte etwas als Gegengewicht für die Demütigung mit den Fledermäusen, und
ich spielte mich auf, während ich den Fußboden untersuchte. »Aha !« sagte ich. Ich untersuchte die Wände. »Aha !« sagte ich. Ich blieb nachdenklich stehen wie für ein
Porträt des jungen Genies. »Ssu-ma Chien schreibt Kühlraum, aber nicht
im Kühlraum«, sagte ich. Ich lief zur Treppe zurück und betrachtete sie
prüfend. »Aha !« sagte ich und stieg bis zum letzten
Treppenabsatz hinauf.
Meister Li lächelte, als er
mir folgte, und ich konnte nicht länger spielen.
»Ich habe es auf dem Weg
hinunter gesehen«, erklärte ich. »Ich dachte an die Arbeit, die es bedeutete,
riesige Eisblöcke fünf lange Treppen hinunterzuschleppen. Also sah ich mich um
und fand, was ich suchte .«
Ich hielt meine Fackel an
die Seitenwände und zeigte den beiden alte Bronzeringe. »Seilrollen mit einem
Mittelseil für eine Art Schlitten«, erklärte ich. »Die Ringe sind in
gleichmäßigen Abständen und in gerader Linie in die Wände eingelassen,
ausgenommen hier .« Ich hob die Fackel zur rechten Wand
und zeigte einen Bogen in der Anordnung der Ringe, der beinahe bis zur Decke
hinaufreichte. »Das machte es schwierig, das Gleichgewicht zwischen beiden
Seilen herzustellen. Es gibt nur einen Grund dafür: Dahinter muß eine Öffnung
sein .«
»Bravo«, sagte Meister Li,
und mir ging es sehr viel besser. Er hielt meine Fackel, ich spuckte in die
Hände und schwang den Pickel. Es dauerte nicht lange. Bald hatte ich eine
Spalte, die ich verbreitern konnte, und ich stemmte mit der Brechstange einen
Stein heraus. Die Fackel ging beinahe aus, als die Luft plötzlich in die
Dunkelheit gesaugt wurde. Nach ein paar Minuten hatte ich ein so großes Loch,
daß wir hindurchgehen konnten, und wir betraten einen Gang, der in den Fels
gehauen war und nach unten führte.
»Sei sehr vorsichtig«,
warnte Meister Li. »Wenn der Gang wirklich zu einer Grabkammer führt, sind
gierigen Grabräubern Fallen gestellt .«
Wir bewegten uns langsam
vorwärts, untersuchten den Boden nach Fallgruben und blickten nervös zur Decke
hinauf, um nach Dingen Ausschau zu halten, die auf uns fallen könnten. Der
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