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Meister Li und der Stein des Himmels

Meister Li und der Stein des Himmels

Titel: Meister Li und der Stein des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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?« Er
betrachtete sie lange und sagte dann beinahe flüsternd: »Ja. In dir ist etwas,
das sehr dem besonderen inneren Kern von Mondkind gleicht. Mondkind trägt
eigentlich nicht den richtigen Namen. Er ist mehr wie die Sonne, und du bist
eher wie der Mond. Man kann nicht direkt in die Sonne blicken, ohne geblendet
zu werden. Deshalb studieren weise Männer die Sonne, indem sie den Mond
anblicken .«
    Plötzlich lächelte der
König, und es nahm mir den Atem. Er besaß das offene und spontane Lächeln eines
Kindes, aber es lag ein seltsamer Anflug von Sehnsucht und Melancholie darin.
Behutsam hob er die wallenden Haare von Klagende Morgendämmerung und befestigte
die Haarspange. »Möchtest du eine Zobeluniform tragen und einen goldenen Bogen ?« fragte er leise. Dann lachte er. »Das ist natürlich keine
Frage, die du beantworten mußt. Keines unserer Mädchen ist gezwungen worden.
Klagende Morgendämmerung, wir wollen dich haben, aber wir werden um dich
werben, wie wir um alle anderen geworben haben, und die Entscheidung wird
allein bei dir liegen .«
    Mühelos hob er beide hoch
und stellte sie auf den Boden zurück. Sein Blick wanderte zu Meister Li.
»Selbst dieses bescheidene Waisenkind hat von dem erstaunlichen Li Kao gehört,
von dem man sagt, sein Können sei grenzenlos«, sagte der König gnädig. »Es gibt
vieles, worüber wir mit Euch sprechen möchten, und wir freuen uns auf die
Erleuchtung durch Eure Weisheit. Eines Tages werdet Ihr uns vielleicht auch den
wahren Zweck Eures Besuches anvertrauen. Aber das hat keine Eile. Ihr habt
Klagende Morgendämmerung zu uns gebracht, und wir sind Euch dafür zutiefst
dankbar. Sie soll unser geehrter Gast sein. Möge Euer Besuch lange dauern .«
    Mit der kurzen Bewegung
eines königlichen Fingers war die Audienz beendet. Rückwärts und unter
Verbeugungen verließen wir den Thronsaal. Der Kämmerer führte uns zu unseren
Gemächern zurück, wo uns ein köstliches Mahl erwartete.
    »Meister Li, meinte er das
wirklich, was er meiner Meinung nach meint ?« fragte
ich.
    »Daß Klagende
Morgendämmerung und ich gerade Bestandteil seiner Sammlung seltener Menschen
geworden sind ?. Das hoffe ich«, erwiderte Meister Li
fröhlich. »Mein liebes Kind, bist du bereit, Gold und Zobel zu tragen ?« Klagende Morgendämmerung errötete und senkte den Blick.
»Was für ein außergewöhnlicher Mann«, flüsterte sie. Wie außergewöhnlich der
König war, erkannte ich erst spät in der Nacht. Ich erwachte kurz nach der
dritten Wache. Irgendwo wurde Musik gemacht. Ich streifte mein Gewand über und
tastete mich in den großen Raum hinaus. Ich gähnte, rieb mir die Augen und
stellte fest, daß Klagende Morgendämmerung die Klänge ebenfalls gehört hatte.
Sie stand an einem Fenster, das auf den Park hinausging. Es waren die Goldenen
Mädchen. Anstelle von Bogen trugen sie Lauten und Flöten. Sie spielten sehr
schön. Eine große dunkle Gestalt trat aus dem Schatten, und der König von Chao
stand im hellen Mondlicht. Er war der absolute Herrscher. Er konnte sich
nehmen, was er wollte, aber das war nicht seine Art. Selbst über die Entfernung
hinweg spürte ich, daß er das alles ungeheuer genoß. Er verbeugte sich tief in
Richtung des Zimmers von Klagende Morgendämmerung, und dann hob er das Gesicht
zum Mond. Der König stellte die große Zehe des rechten Fußes auf die große Zehe
des linken Fußes und begann, einen Liebeszauber aus seiner barbarischen Heimat
zu singen.
    Ich kann es nicht erklären,
aber es gehörte zum Eindrucksvollsten, was ich je gesehen habe.
    »Ich verliere meinen
Pfeil, und der Mond verhüllt sich,
    Ich verliere ihn, und
die Sonne verdunkelt sich,
    Ich verliere ihn, und
die Sterne verlöschen,
    Aber ich ich ziele nicht
auf den Mond,
    die Sonne oder die
Sterne,
    Ich ziele auf das Herz
von Klagende Morgendämmerung. «
    Der König hob und senkte
die Arme; er ahmte einen Vogel nach und begann, mit einer Anmut zu tanzen, die
durch den massigen Körper noch betont wurde. An dem Tanz war nichts
Lächerliches. Der König glich einer Naturgewalt, die sich niemals lächerlich
machen kann.
    »Gluck, gluck! Klagende
Morgendämmerung, komm und lauf mit mir, Komm und setz dich zu mir, Komm und
schlaf mit mir, teile mein Kissen, Gluck, gluck! Klagende Morgendämmerung, Wenn
der Donner grollt, denk an mich, Wenn der Wind pfeift, denk an mich, Wenn der
Kardinal singt, denk an mich, Wenn du den Mond siehst, denk an mich, Wenn du
die Sonne siehst, denk an mich, Wenn du die

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