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Meister Li und der Stein des Himmels

Meister Li und der Stein des Himmels

Titel: Meister Li und der Stein des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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neun Kotaus, und er bedeutete uns
aufzustehen. Seine Stimme klang sanft, aber darunter lag ein Donnergrollen.
»Ihr gefallt uns besser ohne Bart«, sagte er zu Meister Li. »Er war etwas
übertrieben, obwohl wir Euch nicht vorwerfen, daß Ihr der Kunst erlaubt, die
Wirklichkeit zu übertreffen. Es war eine glänzende Vorstellung .« Meister Li verneigte sich. »Wer seid Ihr, und was wollt
Ihr ?«
    »Majestät, ich heiße Li,
mein Vorname ist Kao, und ich habe einen kleinen Charakterfehler«, erwiderte
Meister Li höflich. »Das ist mein geschätzter ehemaliger Klient und derzeitiger
Gehilfe Nummer Zehn der Ochse, und die hübsche junge Dame ist Klagende
Morgendämmerung. Mit Eurer Erlaubnis würde sie Eurer Majestät gern ihre
Haarspange zeigen .«
    Klagende Morgendämmerung
griff nach der Haarspange und gab sie der Anführerin der Leibwache, die sie auf
scharfe Kanten und Gift untersuchte, ehe sie die Spange dem König reichte. Er
betrachtete den mit dem Drachen verschlungenen Phönix, drehte sie um und
betrachtete die miteinander verschlungenen Namen. Er flüsterte einem der
Goldenen Mädchen etwas zu, das sich verbeugte und verschwand.
    »Klagende Morgendämmerung
möchte Mondkind wiedersehen, und ich sah keinen Grund, ihr nicht zu helfen, in
den Palast zu kommen«, erklärte Meister Li gewandt. »Ich interessiere mich für
eine Handschrift. Ich möchte sie nur lesen, also nicht mitnehmen, und ich habe
gehört, daß Eure Majestät der größte Sammler seltener Dinge ist. Ich nahm mir
die Freiheit einer harmlosen Täuschung, um mir den Zugang zu verschaffen, und
ich besitze ein kleines Fragment der bewußten Handschrift .«
    Er reichte das Fragment der
Ssu-ma-Chien-Handschrift der Anführerin, die es überprüfte und an den König weitergab.
    Der riesige Monarch wurde
mir sympathisch, als ich das offensichtliche Unverständnis auf seinem Gesicht
sah. Er konnte die alte Gelehrtenkurzschrift ebensowenig lesen wie ich. Mit
einem Achselzucken gab er der Anführerin das Pergament zurück, die es Meister
Li reichte. »Es bedeutet uns nichts«, sagte er. »Eure Information ist etwas
ungenau. Wir sammeln zwar das Seltene, aber unser Interesse gilt nicht Dingen,
sondern Menschen. Und hier ist das Juwel unserer Sammlung .«
    Das Goldene Mädchen trat
hinter einem der Wasserfälle hervor. Ein junger Mann begleitete sie. Klagende
Morgendämmerung vergaß jegliches Protokoll, stieß einen Freudenschrei aus und
lief auf ihn zu. Der junge Mann jubelte glücklich und rannte ihr entgegen. Sie
trafen sich in der Mitte und verschmolzen in einer so engen Umarmung, daß ich
den Eindruck eines Körpers mit zwei Köpfen hatte. Vermutlieh wurde mein Gesicht
giftgrün, und man konnte das Knirschen meiner Zähne in Soochow hören. Niemand
hatte ein Recht, so auszusehen wie Mondkind. Er war der schönste Mann der Welt,
und er hätte einen Pfau beschämt. Er trug eine weinrote, goldbestickte, mit
Edelsteinen besetzte Mütze. Ein Silberreif auf der Stirn hatte dasselbe
Phönix-Drachen-Motiv wie die Haarspange von Klagende Morgendämmerung; vermutlich
waren auf der Innenseite auch die verschlungenen Namen eingraviert. Um den Hals
trug er eine goldene Kette in Form sich paarender Schlangen, und gestickte
bunte Blumen und Schmetterlinge schmückten sein dunkelrotes Gewand. Gehalten
wurde es von einem Gürtel, auf dem sich Blütenstengel und Kornähren miteinander
verwoben. Über dem Gewand trug er einen blauen, goldgesäumten Satinmantel. Die
goldbestickten Schuhe waren ebenfalls aus blauem Satin, und das Verrückteste
von allem war: nichts an diesem Aufzug wirkte übertrieben. Mondkind war aus
einem Guß. Nur der Applaus fehlte. Diesem verdammten Kerl war es bestimmt, in
einem Schauer von Rosenblättern durch die Welt zu reiten, während Nummer Zehn
der Ochse den Stall ausmistete.
    Schließlich lösten sie sich
voneinander. Der König rief sie mit einer Geste zu sich. Mondkind führte
Klagende Morgendämmerung zum Thron. Mit großer Behutsamkeit griff der König von
Chao hinunter, hob zuerst Mondkind und dann Klagende Morgendämmerung hoch und
setzte sie auf seinen riesigen Schoß.
    »Was seid ihr doch für
liebenswerte Kinder«, sagte er. Er gab Mondkind einen Kuß auf die Wange. »Das
ist der seltenste aller meiner seltenen Menschen, und er teilt eindeutig mit
Klagende Morgendämmerung eine Seele. Warum ist das so ?« Sanft hob er das Kinn von Klagende Morgendämmerung und blickte ihr tief in die
Augen. »Bist du auch etwas Seltenes, mein Kind

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