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Meister Li und der Stein des Himmels

Meister Li und der Stein des Himmels

Titel: Meister Li und der Stein des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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Sterne siehst, denk an mich. Gluck,
gluck! Klagende Morgendämmerung, Komm her zu mir,
    Laß dein Herz zu meinem
Herzen kommen .«
    Er wiederholte den
Zaubergesang dreimal, dann verbeugte sich der König noch einmal in Richtung des
Zimmers von Klagende Morgendämmerung; auch die Goldenen Mädchen verbeugten
sich, und plötzlich waren der König und seine Mädchen verschwunden und im
Schatten untergetaucht. Mein Gesicht sprach vermutlich Bände. Wie viele junge
Frauen werden von einem riesigen, mächtigen, unendlich höflichen und sanften,
aber auch unglaublich barbarischen Monarchen umworben? Auf Klagende
Morgendämmerung warteten Zobel und Gold, ganz zu schweigen von einem unerhört
gutaussehenden jungen Mann mit dem Namen Mondkind.
    »O Ochse, armer Ochse«,
sagte Klagende Morgendämmerung leise.
    Ihre Hand schob sich in
meine. »Komm und lauf mit mir. Komm und setz dich zu mir. Komm und schlaf mit
mir, teile mein Kissen«, flüsterte sie. »Gluck, gluck«, sagte ich.
    *
    So manchen Morgen würde man
am liebsten vergessen. Dieser Morgen begann schön. Sonnenstrahlen glitten durch
das Fenster und tanzten auf der schönen Schulter von Klagende Morgendämmerung.
Ich drückte meine Lippen an ihre Wangen und lauschte dem trägen Brummen müder
Fliegen, dem schläfrigen Summen der Bienen; eine flüsternde Brise raschelte
leise in den Vorhängen, und eine fröhliche Stimme rief:
    »Komm her, du kleiner
Strolch !« Ich richtete mich kerzengerade auf.
    »Verdammt«, seufzte
Klagende Morgendämmerung wehmütig.
    Ein splitternackter, etwa
dreizehn- bis vierzehnjähriger junge rannte auf der Veranda an unserem Fenster
vorbei. »He, Strolch, willst du nicht den Struller Schnuller ?« johlte die fröhliche Stimme.
    »Zehn Millionen Flüche«,
seufzte Klagende Morgendämmerung mit einem unterdrückten Gähnen. Ein
splitternackter junger Mann spurtete an unserem Fenster vorbei und hinter dem
Jungen her, blieb stehen, kam zurück und streckte den Kopf ins Zimmer. »Guten
Morgen, Liebes«, sagte Mondkind fröhlich. »Warum mußt du das an kleine Jungs
verschwenden ?« fragte sie.
    Er blickte zufrieden
zwischen seine Beine. »Verschwenden? Was meinst du mit verschwenden. Du weißt
sehr gut, daß manche der kleinen Schätze einen Monat lang nicht sitzen können .« Mondkind kletterte durch das Fenster herein und tänzelte
zum Bett. »Du meine Güte, diesmal hast du dir ja ein Prachtstück ausgesucht.
Gratuliere !«
    Schnell zog ich die Decke
bis zu den Schultern hoch. »Du bist doch Nummer Zehn der Ochse, nicht wahr?
Woher hast du denn diese göttliche Nase? Sieht aus, als hätte eine Kuh darauf
getanzt«, sagte Mondkind. »Ähh... eine kleine Meinungsverschiedenheit mit
Großer Hong, dem Schmied«, murmelte ich.
    »Ich hoffe doch, er hat ein
anständiges Begräbnis bekommen«, sagte Mondkind. Er setzte sich auf das Bett
und begann, den rechten Schenkel von Klagende Morgendämmerung zu streicheln.
»Apropos Begräbnisse. Ich habe Meister Li einmal in schlechter Laune erlebt. Er
wird sich nicht an mich erinnern. Ich stand bei Hof in der letzten Reihe und
wartete auf meinen ersten Auftritt vor dem Kaiser. Dieser boshafte alte Mann
macht seine Kotaus vor dem Kaiser, erhebt sich, zieht ein Messer aus dem Ärmel
und schneidet dem Handelsminister die Kehle durch, und das Blut spritzt in alle
Richtungen .«
    »Mondkind, ist das wahr ?« fragte Klagende Morgendämmerung mißtrauisch.
    »Jedes Wort. Als der Kaiser
das Motiv für den Mord erfuhr, konnte er sich nicht entscheiden, ob er Meister
Li in Öl sieden oder ihn zum Herzog machen sollte. Aber es war eine
theoretische Frage, denn der alte Mann war bereits nach Turkestan geflohen.
Bald darauf fand man den Hohen Priester von Sa-markand. Er drückte die Nase
zärtlich an die linke Fußsohle, und das sagte etwas über den Zustand seines
Rückgrats aus. Als die Büttel Meister Li einen Besuch abstatten wollten,
stellten sie fest, daß er plötzlich an das Krankenbett einer Urenkelin in
Serendip gerufen worden war .« Ich kannte die
Meister-Li-Geschichten, von denen nur ein Bruchteil auch nur annähernd der
Wahrheit entsprachen, aber ich war nicht gewöhnt, sie von einem empörend
schönen jungen Mann zu hören, der durch das Fenster gesprungen war und das
nackte Bein meines Mädchens streichelte. Inzwischen streichelte er ihre linke
Brust und nahm sie in die Arme.
    »Du hast mir gefehlt«,
sagte er leise. »Ich liebe dich«, flüsterte sie.
    Ich kam zu dem Schluß, daß
der König sich in

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